Esther Vilars Vision von der 25-Stunden-Woche

Geschwurbel von Daniel Schwamm (31.05.1994)

Inhalt

1. Vorstellung der 25-Stunden-Woche

Das 20. Jahrhundert brachte u.a. Automatisierung und beinahe perfekte Geburtenkontrolle mit sich. Daraus resultierte eine weitgehende Befreiung der Frau aus ihrer sozialen Gebundenheit, womit sie zur potenziellen Erwerbstätigen wurde. Neben den Frauen sieht die Vision der 25-Stunden-Woche jedoch auch die Arbeit von Alten und in gewisser Weise auch von Kindern vor. Alle würden nach diesem Modell arbeiten (müssen) - aber alle nur für fünf Stunden am Tag.

Auch wenn es vielen linken Ideologen nicht gefällt, so muss doch zur Kenntnis genommen werden, dass die Verteilung des Privateigentums in der BRD einen Sättigungsgrad erreicht hat, der sich kaum steigern lässt. Ein allgemein höheres Lohnniveau und mehr Mitbestimmung in den Betrieben bremst die unternehmerische Initiative, was sich letztlich negativ auf das Arbeitsplatz-Angebot auswirkt und damit auf die Arbeiter.

Die Zeitverteilung jedoch wurde bisher grob vernachlässigt. Zeit ist das wichtigste immaterielle Gut, welches Marx bei seinen Umverteilungsplänen übersah. Statt dass wie im Moment sich einige totschuften und die anderen sich totlangweilen, fordert das Modell der 5-Stunden-Gesellschaft Arbeit für alle und damit kürzere Arbeitszeit für alle. Die wesentlichen Punkte der seit 1977 vorliegenden Vision der 25-Stunden-Woche von Esther Vilar sind:

  • Arbeitszeit beträgt nur 5 Stunden.
  • Arbeitszeitkürzung geht mit Lohnkürzung einher.
  • Pensionsgrenzen sind selbst wählbar.
  • Kinder erhalten ein staatliches Kindergehalt.
  • Mütter/Väter können bei vollem Lohnausgleich ein Baby-Jahr in Anspruch nehmen.
  • Statt Ganztagsschulen gibt es nur noch 5-Stunden-Schulen.
  • Universitäten arbeiten im 5-Stundenturnus.
  • Die Semesterferien sind normalen dem Arbeiterurlaub angepasst.
  • Recht auf Umschulung statt Recht auf gleichwertige Arbeit.
  • Verbot von Überstunden.

Vilar nennt auch noch ein anderes Konzept, bei dem jeder eine Arbeit hätte: das Modell des Mozart-Planeten. Auf diesem Planeten baut ein Teil der Menschen kreisförmige Strassen, während der andere Teil der Menschen die Strassen wieder einreisst. Um dem Ganzen einen subjektiven (nicht objektiven) Sinn zu verleihen, darf der eine Teil der Menschen nichts von dem anderen Teil der Menschen wissen, was eine totale Kontrolle durch den Staat voraussetzt. Doch dieses Modell ist sicher keine wünschenswerte Alternative, angesichts der Möglichkeiten, die die 25-Stunden-Woche bietet.

Das Modell der 25-Stunden-Woche kann gerade in der BRD eine grosse Chance sein, mit den Problemen fertig zu werden, die sich durch die Maueröffnung ergeben haben. Laut den Experten sind in den nächsten Jahren DDR-Übersiedler und deutsch-stämmige Aussiedler in grosser Zahl zu erwarten, wodurch die Arbeitslosigkeit weiter wachsen wird. Auch darum fordern die Gewerkschaften immer wieder die 35-Stunden-Woche, der jedoch die Arbeitgeber ebenso immer wieder entgegenhalten:

  1. Arbeitszeitverkürzung wird durch Rationalisierungsmassnahmen aufgefangen, d.h., an der Arbeitsplatzsituation ändert sich nichts.
  2. Facharbeiter können nicht durch Rationalisierungsmassnahmen ersetzt werden. Aber freie Facharbeiter-Arbeitsplätze gibt es mehr als genug.

Beide Argumente können leicht entkräftet werden.

  • Zu (1): Rationalisiert wird ohnehin ständig. Und die Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 37 Stunden brachte laut Gewerkschaftsangaben 150.000 neue Stelle und 50.000 verhinderte Entlassungen mit sich.
  • Zu (2): Durch die 25-Stunden-Woche würde das bisher schlummernde weibliche Arbeitspotenzial wachgerüttelt werden, wodurch absolut mehr Facharbeiter zur Verfügung stehen würde.

Das einzige stichhaltige Argument, warum durch eine Arbeitszeitverkürzung die Arbeitslosenzahl steigen würde, wurde weder von der Gewerkschaft noch von den Arbeitgebern genannt. Es sind die Frauen, die bei niedrigerem Zeitaufwand verstärkt bereit wären, zu arbeiten. Das würde die Zahl der Arbeitssuchenden in die Höhe treiben, und sonst nichts. Aus eben diesem Grund müsste dem Plus der weiblichen Arbeiter durch weitere Arbeitszeitverkürzungen begegnet werden, bis sich etwa bei 25 Stunden in der Woche alle Arbeitsplätze besetzt wären. Mit anderen Worten: Die Arbeitszeitverkürzungen sind keineswegs so "dumm, töricht und dreist", wie Helmut Kohl meint.

Auch wertemässig wäre derzeit eine Durchsetzung der 5-Stunden-Gesellschaft im Rahmen des Möglichen, denn laut den Umfragen wären viele Jugendliche bereits, gegen ein mehr an Zeit finanzielle Einbussen hinzunehmen. Auch fordern die Feministinnen verstärkt Halbtagesjobs, obwohl diese Forderung zur verstärkten Unterscheidung zwischen Männer- und Frauenarbeit führt, und nicht zu einer Angleichung (im Bezug auf die Zeit, nicht den Inhalt!). Das Baby-Jahr, dass 1977 noch als utopisch verschrien wurde, ist in der BRD bereits - finanziell beschränkt - durchgesetzt worden. Und nicht zuletzt gibt es die Partei der "Grauen Panther", die für die Rechte der Alten eintritt, so wie es Vilar im Rahmen ihres Modells forderte.

2. Begegnung der Einwände gegen die 25-Stunden-Woche

Wie alle grossen Ideen stösst sich auch die Vorstellung der 25-Stunden-Woche mit den Vorstellungen anderer Modelle oder Menschen. Im Wesentlichen sind es 25 Kritikpunkte, die gegen Esthers Vision ins Feld geführt werden, die im Nachfolgenden aber alle entkräftet werden können.

2.1. Die Reform stammt von einem Laien.

Das ist wahr. Aber nicht nur Experten sind in der Lage, die Wirtschaft zu beurteilen, da diese z.T. aus menschlichem Verhalten resultiert, welches generell keiner exakten Analyse zugänglich ist. Aus diesem Grund ziehen einige (US-)Unternehmen auch bisweilen Betriebsfremde zur Rate, um sich so vor Betriebsblindheit zu schützen. Eine Schriftstellerin wie Vilar lebt ja bis zu einem gewissen Grad von der korrekten Beobachtung des menschlichen Verhaltens, sie ist also gerade Expertin für dieses Ressort. Ausserdem können Schriftsteller auch Dinge zur Diskussion bringen, die Experten lieber verschweigen, weil sie ständig um ihren seriösen Ruf fürchten müssen.

2.2. Das Modell ist utopisch.

Auch das ist bis zu einem gewissen Grad wahr. Doch ohne Utopien gäbe es keinen Fortschritt. Ihre Durchsetzung kann lange dauern, aber wenn sie praktikabel sind, sind sie i.d.R. eine Bereicherung des menschlichen Daseins. Im Falle der 25-Stunden-Woche würde sie das generelle 2-Klassen-System auflösen helfen, denn:

  • im Beruf hätte alle Arbeit.
  • alle würde gleichlange arbeiten (bis auf Selbstständige; dazu später mehr)
  • jeder könnte Kinder finanzieren.
  • Scheidungen wären nicht mehr aufgrund finanzieller Probleme blockiert.
  • wie Selbstständige könnten Alte ihr Pensionsalter selbst festlegen.

Einschränkend muss gesagt werden, dass das Modell tatsächlich utopisch sein kann, nämlich im Bezug auf arme Länder. Es deswegen aber in den reichen Ländern nicht einzusetzen, das wäre irrational.

2.3. Mit einem halben Tag Freizeit weiss niemand was anzufangen.

Lehrer zeigen, dass ein halber Tag Freizeit keine ernsten Probleme wie Alkoholismus, Kriminalität oder Fernsehsucht schüren muss. "Gut", sagen die Experten, "das gilt für gebildete Lehrer. Was aber ist mit den Arbeitern?" Die haben noch weniger Probleme, sich in ihrer Freizeit zu beschäftigen. Ein Intellektueller geht kaum ohne Buch nach Mallorca, ein Arbeiter aber schon. Die meisten Freizeitangebote wissen die Arbeiter zu nutzen: Wandern, Angeln, Kegeln, Basteln, Stammtisch, usw.

Durch das Modell wird der Alkoholismus nicht zunehmen, weil mehr Zeit zur Verfügung steht, Probleme zu lösen. Es wird auch die Kriminalität zurückgehen, da sich die meisten Kriminellen aus Heimkindern rekrutieren, deren Anzahl deutlich abnehmen wird. Und Fernsehsüchtiger zu sein ist immer noch besser, als sich in der Fabrik dumm und dämlich zu arbeiten.

Und selbst wenn Freizeit so etwas Schlimmes ist, dann ist die derzeitige Situation erst recht nicht gerecht, in der die eine Hälfte schuftet und sich wertvoll fühlen darf, während die andere dahinvegetiert.

2.4. Die Reform ist fehlkalkuliert - ein 6-Stunden-Tag wäre angemessen.

Das stimmt bis zu einem gewissen Grad. In der BRD arbeiten 16.5 Millionen Männer und 10.5 Millionen Frauen, im Schnitt 40 Stunden in der Woche (mit Überstunden und Halbtagsjobs). Würden die restlichen 6 Millionen Frauen plus den 2 Millionen Arbeitslosen arbeiten, dann würden für die gleiche Arbeitsleistung 30.8 Stunden in der Woche pro Arbeiter genügen. Doch diese Stundenzahl lässt sich weiter minimieren, denn:

  • bei 5 h/Tag arbeiten mehr Alte länger, laut Umfragen43% von 10 Millionen Rentner.
  • durch höhere Arbeitszufriedenheit geht der Krankenstand zurück.
  • das Leistungstief nach der Mittagspause fällt weg (daher 5 h nötig!)
  • die Qualität steigt, weil weniger Stress vorliegt.
  • das weibliche Arbeiterniveau würde sich dem männlichen anpassen.

2.5. Die Produktionskapazität auf 5 Stunden zu beschränken ist unwirtschaftlich.

Das ist richtig, daher schlägt Vilar ja auch Schicht-Arbeit vor. Statt einmal 8 Stunden am Tag, sind dann betriebliche Ressourcen zweimal 5 Stunden am Tag nutzbar, wodurch die Produktivität sogar steigt, zumal dabei auch noch die Mittagspausen wegfallen. Nicht zuletzt bringt dass auch noch Vorteile bezüglich der Rush Hour, die durch Schichten gesplittet wird.

2.6. Schichtarbeiten sind nicht überall möglich (z.B. im Büro).

Auch das ist richtig. Doch um die Leistung in nur einer Schicht aufrechterhalten zu können, sind bloss 37.5% neue Arbeitsplätze nötig. Büroarbeitsplätze sind ja relativ billig, ausserdem entstehen durch sie kaum Fixkosten während der Nichtbenutzung. Das Einzige, was Probleme bereiten könnte, sind die zusätzlichen Räume. Doch bei 5 Stunden kann auch enger beieinander gearbeitet werden. Und ausserdem können die überflüssig gewordenen Mensa-Räume u.ä. genutzt werden.

2.7. Es gibt er mehr Arbeitslose durch mehr Arbeitswillige nach der Reform.

Das trifft nicht zu, denn die bestehende Arbeit wird ja entsprechend auf zwei Arbeitsplätze aufgeteilt oder in zwei Schichten bewerkstelligt. Durch das Plus an Freizeit werden zudem viele neue Arbeitsplätze geschaffen, v.a. im Dienstleistungsbereich, der vom Export unabhängig ist. Die Mobilität als zentrale Anforderung für Arbeitssuchende wird wesentlich reduziert, wodurch auch die soziale Entwurzelung relativiert wird. Selbst die heilige Kuh Auto kann dann endlich geschlachtet werden. Ein Grund dafür: Statt eines Rechts auf gleichwertige Arbeit gibt es ein Recht auf Umschulung. Arbeitslose müssen natürlich auch noch dadurch verhindert werden, dass schärfer gegen Überstunden und Schwarzarbeit vorgegangen wird.

2.8. Arbeiter wollen lieber 4-Tage-Woche und längeren Urlaub.

Das mag stimmen. Aber ein längerer Urlaub ändert überhaupt nichts an derzeitiger Arbeitslosensituation. Die 4-Tage-Woche hat dagegen die Nachteile, dass die Produktivitätskapazität unausgelastet bleibt, dass sie nicht im Einzelhandel funktioniert und auch sonst fast alles beim Alten bleibt.

2.9. Die Lohnkürzungen sind zu drastisch für die Arbeitnehmer.

Das ist ein schwieriger Punkt in der Vision. Der Lohnverlust erscheint auf den ersten Blick tatsächlich gravierend zu sein; man verdient fast die Hälfte weniger. Doch diese Tatsache wird durch einen wesentlichen finanziellen Vorteil mehr als nur ausgeglichen: Man arbeitet nur noch für sich, und nicht mehr für finanziell abhängige Personen wie Frauen, Kinder und Alte, da diese ein eigenes Einkommen haben. Dem Ledigen allerdings bleibt unter dem Strich tatsächlich weniger übrig. Falls er unbedingt mehr verdienen will, kann er zum Heer der Selbstständigen übergehen, deren Arbeitszeit gesetzlich nicht zu regeln ist.

Problematisch ist die Hinführung zur 25-Stunden-Woche. Vilar schlägt vor, zunächst auf alle Lohnerhöhungen gegen Arbeitszeitverkürzungen zu verzichten, d.h. auf den zustehenden Wirtschaftswachstumsanspruch und den sich ergebenden Inflationsraten-Ausgleich. Lohnerhöhungen wären dann nur noch über Beförderungen zu erreichen. Je weniger der Mann verdient und je kürzer die Arbeitszeit wird, umso mehr Frauen werden zu arbeiten beginnen, bis sich bei 25 Stunden in der Woche ein Gleichgewicht einstellt.

2.10. Das Kindergehalt ist nicht finanzierbar.

Die Reform würde die Regierung weniger kosten, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenn wir von 500 DM/Monat pro Kind ausgehen, dass Kinder evtl. gestaffelt von Geburt an bis zum Schulabgang erhalten, macht das bei derzeit 14 Millionen Kindern unter 16 Jahren 84 Milliarden DM. Zieht man davon die 20 Millionen Kindergeld ab, die die Regierung bereits bezahlt, bleiben 64 Mia übrig. Das ist in der Tat nicht wenig, aber viel mehr kommt auch nicht mehr dazu:

  • Säuglingspflegegehalt: Die Lohnfortzahlung im Baby-Jahr ist mit 600 DM/Monat bereits realisiert, müsste allerdings noch an das volle Lohnniveau angepasst werden. Die dadurch entstehenden Kosten sind zu vernachlässigen.
  • Krankenpflegegehalt für Kinder: Diese haben die Unternehmen zu tragen, was aber durch den niedrigeren Krankenstand der Beschäftigten mehr als wettgemacht wird. Bei der Betreuung des kranken Kindes wechseln sich Vater und Mutter ab.
  • Mindestgehalt: Dieses liegt derzeit bei 900 DM/Monat für Ausgebildete. Daran muss nichts geändert werden, es entstehen also keine zusätzlichen Kosten.

Fazit: Die Reform kostet die Regierung ca. 64 Milliarden DM/Jahr, doch angesichts der sozialen Vorteile ist dies ein geringer Preis, v.a., weil die BRD auch über einen Handelsüberschuss von 147 Milliarden DM/Jahr verfügt.

2.11. Die Wirtschaft wird durch Senilität blockiert.

Senile Alte müssten auch nach der Reform ihren Platz räumen. Doch Senilität ist meist eine Folge des Herausgerissenwerdens aus dem Arbeitsleben, d.h. während des Arbeitslebens eher eine Seltenheit. Natürlich lässt die Körperkraft nach, doch spielt das bei den meisten Berufen keine grosse Rolle. Auch lässt offenbar die Kreativität nach, doch dem haben die Alten ihre unschätzbare Erfahrung entgegenzusetzen. Nicht ohne Grund sind die meisten führenden Politiker oder Ärzte gestandene Männer, um nicht zu sagen Greise. Durch die Reform könnten auch Werte wie Weisheit und Erfahrung Fuss fassen, sodass die Alten wieder wie vor der industriellen Revolution angesehene Personen wären.

2.12. Ledige werden benachteiligt.

Der Ledige verdient weniger als heute, jedoch wir er nicht benachteiligt gegenüber den Verheirateten. Er muss den gleichen Steuersatz zahlen, nicht mehr wie z.Z. einen höheren. Wie erwähnt, könnte er jederzeit zu den 2.5 Millionen Selbstständigen stossen. Ausserdem sind Ledige mit 10% der Bevölkerung auch unterrepräsentiert, d.h., wegen ihnen auf eine Reform zu verzichten, die 90% bevorteilt, wäre asozial. Und wenn man den Ledigen mehr Geld zugestehen würde, dann gäbe es bald nur noch wilde Ehen und Scheinscheidungen.

2.13. Es gibt (neue) Klassenunterschiede durch die Reform.

Nämlich Vormittags- und Nachmittagsarbeiter sowie Selbstständige und Angestellte.

Der einzige Unterschied zwischen Vormittags- und Nachmittagsarbeit ist der, dass nachmittags weniger Büroarbeit anfällt. Daraus erwächst niemandem ein sozialer "Klassen"-Nachteil.

Die Klassen Selbstständiger und Angestellter gibt es bereits. Tatsächlich würde die Reform den Unterschied zunächst verstärken, da die Zeitregelung der Selbstständigen nicht gesetzlich regelbar ist und sie infolgedessen u.U. erheblich mehr verdienen. Doch eine Anpassung an die Masse ist auf Dauer zu erwarten, sodass der Unterschied nicht grösser ist, als heute. Übler sind schon die Probleme der Selbstständigen, die den ganzen Tag arbeiten und trotzdem am Hungertuch nagen, z.B. Landwirte. Hier können vermutlich nur Bodenreformen gerechtere Zustände schaffen. Arme Künstler dagegen können nach der Reform vormittags arbeiten und nachmittags ihrer Kunst nachgehen.

2.14. Die Reform erleichtert Scheidungen und damit Familientrennungen.

Nach der Reform muss niemand bei einem Partner bleiben, nur weil er finanziell abhängig von ihm ist. Das zerstört die Familie, die aber zu diesem Zeitpunkt schon keine richtige mehr war, sondern nur noch eine Zwangsgemeinschaft, unter der v.a. die Kinder zu leiden hatten. Durch die Reformen werden Scheidungen gerechter, weil sie sich nun auch ein armer Mann leisten kann. Ausserdem ist zu erwarten, dass die Scheidungsrate eher kleiner wird, dass sich Mann und Frau nicht mehr so stark auseinanderleben: Erstens haben sie mehr Zeit füreinander und zweitens muss der Mann nicht alleine immer mehr dazulernen, während die Frau alles vergessen darf.

2.15. Kindergeld fördert Kinderreichtum aus finanziellem Eigennutz.

Irland hat das niedrigste Kindergeld, aber die höchste Kinderrate. Der Grund dafür ist, dass Kinder hauptsächlich für die Altersversorgung benötigt werden. Je höher die soziale Absicherung, desto niedriger ist die Geburtenrate. Doch nach der Reform wären Kinder keine Belastung mehr, d.h., Abtreibungen würden abnehmen und die Geburtsraten ein wenig zunehmen, was der BRD nicht zum Nachteil gereichen würde.

2.16. Wenn beide arbeiten - wer passt dann auf die Kinder auf?

Vilar plädierte für die Einrichtung von Schulclubs. Hier können ohne Noten und freiwillig künstlerische Fächer u.ä. gelehrt werden, die für das tägliche Leben nicht unbedingt nötig sind. Morgens hätte man 5 Stunden Schule, mittags dann Zeit für die Schulklubs - auch in den Ferien. Voraussetzung dafür wäre, dass zwangsbasierte Hausaufgaben wegfallen und ebenso der Nachmittagsunterricht. Die BRD beweist, dass dies funktioniert; sie hat die niedrigsten Stundenzahlen, gehört aber zu den führenden Wirtschaftsmächten. Die von den Feministinnen immer wieder geforderten Ganztagsschulen dagegen können das Urlaubsproblem nicht lösen.

2.17. Einjährige sind noch nicht reif für den Kindergarten.

Die Reform unterstützt nur ein einjähriges Baby-Jahr. Das heisst aber nicht, dass danach das Kind in einem Kindergarten abgegeben werden muss. Das ist nur eine Option. Genauso gut kann es den Grosseltern gegeben werden, die es nach der Reform nur noch 5 Stunden statt 9 oder 10 Stunden beaufsichtigen müssen. Auch können die Eltern in verschiedenen Schichten arbeiten, und sich so abwechseln mit der Kinderpflege. Die frühe "Schule" im Kindergarten stellt ausserdem eine echte Chancengleichheit für alle Kinder dar, da sie so in einer prägenden Zeit von ihrem sozialen Background etwas distanziert werden. Der Kindergarten ist auch eine gute Sozialisierungsübung, die in den isolierten Familien nicht so gegeben wäre. Prämisse wäre hierbei allerdings eine drastische Steigerung des Kindergarten-Personals.

2.18. Studentenunruhen.

Die Reform schafft einige Privilegien der Studenten ab, das ist wahr. So werden z.B. die Semesterferien auf Arbeiterurlaubsniveau gekürzt und Stipendien gestrichen. Diese Privilegien entsprechen aber ohnehin einem elitären Denken, welches nicht gerechtfertigt ist. Trotzdem wären Unruhen nach der Reform nicht unbedingt zu erwarten. Durch das Schichtkonzept könnte in Universitäten die doppelte Anzahl von Studienplätzen geschaffen werden, das Studium würde kürzer dauern, die Finanzierung über spezielle Regierungskredite oder Schicht-Arbeit finanzierbar und die Professoren treten gegeneinander in Wettbewerb, was die Qualität ihrer Vorlesung erhöhen würde. Das Problem des "Akademikerproletariats" wäre durch die Reform allerdings nicht zu lösen.

2.19. Die Reform ist sexfeindlich, weil sie die Rollen vermischt.

Wenn nach der Reform tatsächlich Männlein wie Weiblein die gleichen Arbeiten ausführen würden, wäre dieser Einwand gerechtfertigt. Aber warum sollte das geschehen? Die tägliche Erfahrung zeigt uns, dass sich typische Männer- und typische Frauenberufe (z.B. LKW-Fahrer und Krankenschwester) herausbilden, die Rollen also keineswegs vermischt werden müssen, auch wenn alle arbeiten würden. D.h., die Andersartigkeit des anderen Geschlechts, aus der letztlich die sexuelle Attraktivität resultiert, bleibt erhalten. Es gilt dann: Alles, was Männer können, müssen Frauen nicht können und umgekehrt.

2.20. Frauenberufe werden schlechter bezahlt.

Das stimmt, so lange die Frauen nicht endlich anfangen, sich wie die Männer gewerkschaftlich zu organisieren. Von 100 Gewerkschaftsmitgliedern sind derzeit nur 20 Frauen. Da leichter Frauenüberschuss herrscht, verfügen die Frauen über mehr Potenzial für Änderungen in ihrem Sinne als Männer, sie müssen sich nur zu solidarisieren lernen. Der Überschuss allerdings hält nicht ewig. Wie Untersuchungen zeigten, leben gestresste Frauen auch nicht länger als Männer.

2.21. Doppelbelastung der Frau bleibt auch nach der Reform erhalten.

Es ist wahr, der Haushalt und die Kinder sind Domänen der Mutter. Allerdings empfinden dies die meisten Frauen auch als Privileg, dass sie sich kaum nehmen lassen werden - denn sie bestimmen dadurch das Aussehen ihrer privaten Umwelt, sei bekommen die Kinder nach der Scheidung und sie bestimmen den Speisezettel. Nicht zuletzt verliert der Hausmann für die meisten (Ehe-)Frauen auch an sexueller Attraktivität, sowie seine Entvirilisierung zu weit fortgeschritten ist. Was häufig übersehen wird, ist, dass auch Männer der Doppelbelastung unterliegen, denn wer kümmert sich denn i.d.R. um den Garten, das Auto, um Malerarbeiten, Reparaturen und die Steuererklärung?

2.22. Die Reform ist antimaskulinistisch - nur Männer machen Wehrdienst.

Das stimmt, lässt sich aber wegen der grösseren Macht der Frauen kaum ändern, zumindest nicht, ohne die Durchsetzung der Reform unnötig zu gefährden. Dabei wäre im Prinzip nichts gegen weibliche Soldaten einzuwenden. Die Zivildienstleister zeigen, dass die Männer das Militär nicht "von Natur aus" lieben, und die zahlreichen Terroristinnen strafen dem friedliebenden Frauenbild Lügen. Frauen beim Militär würde heissen, doppelt so viele Menschen hätten Angst vor einem Krieg. Die neuen Militär-Techniken würde sie trotz geringerer Körperkraft ohne Probleme beherrschen können. Die Gebärzeit als Ausrede zu gebrauchen, ist absurd, da Frauen ja nicht verpflichtet sind, den Nullipari-Zustand zu ändern.

Dennoch: Frauen wollen nicht zum Militär und also werden sie es auch nicht tun, ausser evtl. in geringen zahlen bei einem Berufsheer. Doch das entartet meist zu einer Endstation von Mittellosen, die dann im Ernstfall für die Reichen den Kopf hinhalten müssen. Zudem ist ein Berufsheer auch ein zu sehr abgeschlossenes System, was zu Werten führen kann, die der Staat irgendwann schwer kontrollieren kann (man denke nur an die Geheimdienste).

2.23. Die Vermögensbildung wird nicht geändert - das Modell ist reaktionär.

Nein, das Modell ist in diesem Punkt allenfalls konservativ. Bereits an anderer Stelle wurde erwähnt, dass eine weitere Verteilung von Eigentum die unternehmerische Initiative im Keim erstickt. Ungleiche Bezahlung von ungleichen Menschen für ungleiche Jobs - das ist gerechte Entlohnung. Dort, wo ungleiches Einkommen wirklich ungerecht wirksam ist, nämlich bei der Ausbildung der eigenen Kinder, wird dies durch das für alle Klassen gleiche Kindergeld und gleiche Ausbildungssystem verhindert.

2.24. Die klassenlose Kinder-Ausbildung geht auf Kosten der Individualität.

Die Kinder sind bezüglich ihrer Ausbildung nicht abhängig vom Einkommen ihres Vaters - sie haben also vielmehr die Möglichkeit als früher, ihre eigenen Fähigkeiten und Eignungen herauszubilden. Seit z.B. Gitarren für jedermann erschwinglich wurden, wurden mehr Gitarrengenies hervorgebracht, als in all den Jahrhunderten zuvor. Und Gitarrengenies sind selten graue Mäuse.

2.25. Warum sollte nach der Reform politischer Extremismus zurückgehen?

Dem System der Terroristen ist durch kein Argument beizukommen. Esthers Vision wird also keinen Terroristen bekehren können. Doch bessere soziale Umstände nehmen Anti-Staat-Koalitionen den Wind aus den Segeln (im Gegensatz zu härteren Sanktionsmassnahmen wie Todesstrafen u.ä.), insbesondere im Bezug auf Neurekrutierungen von rechts bzw. links. Und um solche besseren sozialen Umstände zu erreichen, dafür ist das 25-Stunden-Wochen-Modell ja gerade konzipiert worden.