Führen und geführt werden

Geschwurbel von Daniel Schwamm (25.07.1994)

Inhalt

1. Übersicht

1.1. Führungstheorien

Wir betrachten in dieser Arbeit verschiedene Führungstheorien. Bei Führungstheorien handelt es sich um Aussagesysteme zur Erklärung von Führungserfolg. Im Folgenden sei eine Übersicht der verschiedenen Führungstheorien und ihrer jeweiligen Erweiterungen gegeben:

  • Machiavellismus
    • Praktische Durchsetzungsregeln
    • Machttheorie
  • Personalismus
    • Eigenschaftstheorie
    • Charismatische Führung (Robert House, 1977)
    • Assessment-Center
    • Organisationsentwicklung
  • Positivismus
    • Informelle Führung (Elton Mayo, 1927)
    • Rollentheorie
    • Partizipativer Führungsstil
    • Entscheidungstheorie der Führung (Vroom und Yetton, 1973)
  • Pragmatismus
    • Kontingenztheorie (Fred Edward Fiedler, 1967)
    • 3D-Theorie (William James Reddin, 1970)
    • Situative Theorie der Führung (Hersey und Blanchard, 1977)
    • Attributionstheorie (Mitchell und Calder, 1979)
    • Management by Objectives, Management by Exception
    • Organisationskultur (Peters und Waterman, 1982)
    • Symbolische Führung
  • Liberalismus
    • Mitbestimmung
    • Teilautonome Gruppen
    • Weg-Ziel-Theorie
  • Behaviorismus
    • Klassische Konditionierung
  • Strukturalismus
    • Bürokratische Führung (Max Weber, Anfang 20. Jahrhundert)
    • Kybernetische Führung (Stafford Beer, 1973)
    • Mülleimer-Modell (Olsen und March, 1972)

1.2. Hinweise zur Führung

Führung scheint eine Männerdomäne zu sein. Dass dies so ist, ist aber nichts Natürlich-Notwendiges, sondern vielmehr Sozial-Geschichtliches. I.d.R. liegt die Männerdominanz in der Führung an den Männern. Jedoch tragen daran auch die Frauen eine Teilschuld, denn Frauen neigen zum Bienenköniginnen-Syndrom: Um ihre eigene Position nicht zu gefährden, verhindern sie insbesondere den Aufstieg von Kolleginnen.

Die Frage nach dem besten Führungsstil ist wie die Frage nach dem besten Weg der Genesung. Die Ärzte jeder Disziplin würden einen anderen Weg empfehlen. Und jeder hätte weitgehend recht!

Die Wahl des optimalen Führungsstils ist ein schlecht-strukturiertes, aber wohl-definiertes Problem. Die präskriptive Entscheidungstheorie hilft uns daher hier nicht weiter.

Führung ist ein soziales Phänomen, keine objektive, greifbare Sache, und also kann sie auch nicht objektiv gemessen und operationalisiert werden.

Definitionen von Führung sind ein hoffnungsloses Unterfangen. Zu viele Faktoren müssen berücksichtigt werden. Kurze Definitionen können immer nur zirkulär sein, d.h., sie enthalten Begriffe, die ihrerseits nicht wohl-strukturiert sind und auf umfangreiche Weise erklärt werden müssen.

Das Phänomen Führung kann auf zwei Arten begründet werden:

  1. Empirisches Vorgehen: Man untersucht erfolgreiche Führung auf ein bestimmtes Kriterium (z.B. eine Eigenschaft wie Dynamik) hin. Man erhält Korrelation zwischen diesen beiden Grössen, deren Interpretation sehr unterschiedlich ausfallen kann. Die Interpretation muss jedoch aufgedeckt werden, denn darin zeigt sich z.B., in welcher Richtung die Korrelation gelesen wurde, oder ob ein dritter - entscheidender - Faktor vermutet wird. Grund: Hypothesen müssen kritisierbar und überprüfbar sein!
  2. Normatives ("theoretisches") Vorgehen: Man leitet Hypothesen über die Zusammenhänge zweier Grössen aus einer Theorie ab, und überprüft diese anhand empirischer Befunde auf Bewährung. Die Interpretationsbasis ist damit schon gegeben, nämlich die Theorie, die Kritisierbarkeit und Überprüfbarkeit nach dem Kritischen Rationalismus (Karl Popper, 1902-1994) bereits voraussetzt.

2. Führung und Ideologien

2.1. Begründung der Führung

Führung ist (a) eine soziale Tatsache, und (b) kommt in alternativer Ausprägung vor. Dies verlangt die Untersuchung der Führung durch die Wissenschaft, denn das Vorhandensein von (einer bestimmten) Führung muss demnach irgendwie begründbar sein. Problem: Aufgrund der Komplexität des Führungsproblems, neigt man dazu, Führung ideologisch zu begründen. Ideologien schaffen Zusammenhalt mit Gleichgesinnten, sie wirken beruhigend und stimulierend, sie sind vereinfachende Denkraster und sie berücksichtigen das Gefühl, dass Handeln mehr als nur ein Reagieren nach dem S-O-R-Paradigma (Stimulus, Organismus und Reaktion) ist. Mögliche Führungsideologien sind:

  • Führung existiert, weil Menschen geführt werden wollen (implizites Menschenbild)!
  • Führung existiert, weil Menschen geführt werden müssen (implizites Menschenbild)!
  • Hierarchien sind ein universelles soziales Prinzip (naturalistischer Fehlschluss)!
  • Elite soll das Sagen haben (Faschismus)!
  • Führung ist funktionell (Führung wird versachlicht und verharmlost)!

2.2. Menschenbildnis

Implizite Menschenbilder bilden häufig die Basis für die ideologische, aber als sachlich getarnte Erklärung der Führung. Solche Menschenbilder sind z.B.:

  • Rationaler Mensch (Frederick Taylor, 1856-1915)
  • Soziales Gruppenwesen (Human Relation)
  • Bedingt-rationaler Interessenträger (Entscheidungstheorie)
  • Nutzenmaximierer (institutionenökonomische Theorie)
  • Komplexer Mensch (Systemtheorie)

Ideologiekritisch argumentieren heisst nicht unbedingt, den ideologischen Begründungen "objektive" Begründungen gegenüberzustellen, sondern es genügt, ihnen alternativen (ideologische) Begründungen gegenüberzustellen. Dadurch kann gezeigt werden, dass die Unverzichtbarkeit der Führung nicht sachlich, sondern nur ideologisch (politisch!) begründet werden kann!

3. Eigenschaftstheorien

3.1. Merkmale von Eigenschaften

Viele Eigenschaften (der Führung) sind hypothetische Konstrukte, die daher als solche zumeist nicht direkt beobachtbar sind. Dennoch verlangt man von ihnen relativ konkrete Merkmale, damit sie als Eigenschaften gelten können. Diese Merkmale sind:

  • zeitliche Stabilität.
  • Übersituativität (immer feststellbar).
  • Universalität (in jedem Menschen feststellbar).

3.2. Erfolgseigenschaften von Führern

Eine These besagt: Erfolgreiche Führer zeichnen sich durch bestimmte Eigenschaften aus. Auch wenn inzwischen hinreichend gezeigt wurde, dass Führer im Prinzip nur Marionetten des Marktgesetzes sind (der Umsatzverlauf ist innerhalb einer Branche gleich, egal, welche Führungsmannschaft am Ruder sitzt), dass es also nicht auf den "starken Mann an der Spitze" ankommt, sondern dass der ganze Apparat und die Situation den Erfolg bzw. Misserfolg herbeiführen, so scheinen empirische Analysen doch diese These letztlich zu bestätigen.

Drei mögliche Gründe lassen sich dafür finden:

  1. Der Führer besitzt die "Erfolgseigenschaften", weil er danach von seinen Vorgesetzten gezielt ausgesucht wurde (Vorgesetztenattribution und Selbstrekrutierung des Managements; Paradebeispiel: Assessment-Centers).
  2. Der Führer besitzt die "Erfolgseigenschaften", weil er führt, d.h., er ist z.B. erst dadurch selbstsicherer geworden, weil er einen Führungsposten übernommen hat (Selbstattribution).
  3. Viele Eigenschaften sind nicht objektiv messbar. Aufgrund der Schema-Theorie (siehe nächster Abschnitt) werden einem Führer u.U. bestimmte Eigenschaften nur zugesprochen, ohne dass er sie real besitzt.

4. Schema-Theorie der Führung

4.1. Komplexitätsreduktion durch Schemata

Die Umwelt ist sehr komplex. Um sich in ihr zurechtzufinden, muss der Mensch sie im Kopfe vereinfachen. So reduziert er bestimmte Personen auf ein Bild, eine Kategorie, eben ein Schema, wie z.B. "Führer", "Mutter", "Krieger" usw., wenn er ihnen zum ersten Mal begegnet. Diese Schemata werden jedoch nicht von jedem Menschen originell mit Inhalt gefüllt, sondern dieser wird vielmehr sozial vermittelt - wodurch die Bedeutung der Schemata dem Zeitfluss unterworfen ist.

4.2. (Fälschliche) Eigenschaftszuordnungen durch Schemata

Je funktioneller die Umwelt ist, desto mehr solcher Schemata liegen vor. Zu ihrer leichteren Unterscheidung ist es wichtig, dass die Schemata durch "Marker" ihren Identifikationsgrad erhöhen. Solche "Marker" für einen "Finanz-Führer" können z.B. Statussymbole wie eine Rolex-Uhr sein, während ein "Militär-Führer" hingegen etwa eine Uniform trägt. Erkennen wir jedoch ein Schema, sprechen wir dem Schema-Träger sogleich unbewusst gewisse Eigenschaften zu, die dieser u.U. gar nicht besitzt. Die Objektivität ist dabei wie "geblendet", denn man abstrahiert unbewusst von der individuellen Person und sieht nur das Soll-Schema.

4.3. Selbstschematisierung

Neben Personen-Schemata besitzt der Mensch auch noch Selbst-Schemata, Ereignis-Schemata und Person-in-Situation-Schemata. Sie alle dienen ihm dazu, sich in bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten Personen schemagerecht zu verhalten, ohne rationale Denkprozesse dabei zu bemühen. In Bezug auf die Führung gilt also, dass sich der Führer durch besondere Eigenschaften hervorheben muss, um als solcher registriert zu werden. Auch das vermag zu erklären, warum gewisse Eigenschaften bei Führern immer wieder dominieren, da diese - um eben Führen zu können - bemüht sind, "Marker" einzusetzen und ihr Selbst-Schema auf das des Führer-Schemas anzupassen. Bis zu einem gewissen Grad sind Führer dadurch die Geführten der Geführten.

5. Rollentheorien

5.1. Rollenträger und Rollenerwartung

Rollenträger wie "Vorgesetzte" sind nicht frei darin, wie sie ihre Rolle ausfüllen wollen. Sie müssen sich den an sie gestellten Erwartungen anpassen, sonst werden sie ihre Rolle wieder los. Wesentlich stärker noch als über die Personen-Schemata, werden hierbei Führer zu Geführten der Geführten. Eine Person hat zusätzlich nicht nur eine Rollenerwartung, sondern viele Rollenerwartungen zu erfüllen. Die Kultur, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Organisation, die Gruppe, sie alle umschliessen die Person konzentrisch mit ihren Rollenerwartungen.

5.2. Auflösung von Rollenkonflikten

Angesichts der beschrieben vielfältigen Rollenerwartungen muss man sich die Fragen stellen, ob bei so viel "Aussenleitung" noch etwas von der Persönlichkeit des (führenden) Individuums übrig bleiben kann. Unserer Meinung nach schon, denn Rollen sind bei aller Vielfalt doch meist nur unscharf formuliert und dadurch interpretierbar. Die meisten Menschen (und v.a. Vorgesetzte, die quasi notwendigerweise in Rollenwidersprüchen leben müssen) sind wohl z.B. fähig, die folgende Rollenprobleme u.a. durch eigene Prioritätensetzung oder situativ-individuelle Wahl des Führungsstils zu meistern:

  • Intra-Sender-Konflikte: Schnelligkeit und Genauigkeit werden verlangt.
  • Inter-Sender-Konflikt: Durchgreifen verlangt einer, Geduld ein anderer.
  • Inter-Rollen-Konflikt: Mutter und Arbeiterin werden gleichzeitig gefordert.
  • Personen-Rollen-Konflikt: Pazifist soll Militär-PR in Gang setzen.
  • Rollen-Ambiguität: Fliessende Ränder des Rollenauftrags.
  • Rollen-Überlastung: An Inhaber werden zu hohe Erwartungen gestellt.

6. Führung als Residualfaktor

6.1. Technokratische Führung dominiert persönliche Führung

Menschen werden in Bezug auf Führung vorgebildet, etwa durch gesellschaftliche Konditionierung, durch ihre Erziehung und ihre Bildung. Ein grosser Teil der Führungsaufgaben wird in Organisationen auf unpersönliche, technokratische Weise gelöst. Programme, Pläne und Formalismen sind die Regel, persönliche Führung nur noch die Ausnahme, behaupten daher auch Klaus Türk und Niklas Luhmann. Die Rolle des Führers ist also fast bedeutungslos geworden.

6.2. Gründe für persönliche Führung

Wenn persönliche Führung in Organisationen vorkommt, dann am Besten in Form von Selbstkoordination. Wir stimmen dem bis zu einem gewissen Grad zu: Auch wir sehen den Bereich der Führung durch Führungssubstitute eingeschränkt, jedoch ist sie aus folgenden Gründen dennoch unverzichtbar:

  • Die technokratische Führung lässt Motivationslücken offen, die auch eine Gruppenorientierung nicht füllen kann. Das Selbstwertgefühl eines Mitarbeiters wird beispielsweise eher dadurch gestärkt, dass ein Vorgesetzter die gemachte Arbeit begutachtet, als wenn dies eine Maschine oder ein gleichrangiger Kollege erledigt.
  • Führungssubstitute müssen interpretiert werden. Vorgesetzte haben hier wichtige Vorbildfunktionen zu erfüllen. Sie sind es auch, die den Handlungsträgern am ehesten einen Sinn ihres Handelns vermitteln können (symbolische Führung).
  • Störungen im Ablauf der "Maschine" Organisation treten viel häufiger auf, als die Systemtheoretiker unterstellen wollen. Nach aktuellen Untersuchungen wird ein Manager alle paar Minuten vor ein neues Problem gestellt, welches andere Personen oder die Situation an ihn herantragen; selten kann er einmal eine halbe Stunde alleine für sich arbeiten.
  • 80% ihrer Zeit verbringen Vorgesetzte mit Reden, um zu motivieren und Vorschläge zu bringen. Sie beraten ihre Mitarbeiter oder senden Befehle aus, um kulturelle Werte zu vermitteln. Technokratische Führung dagegen redet überhaupt nicht.
  • Fast immer müssen Manager Ad-hoc-Entscheidungen treffen. D.h., die Vorteile von technokratischer Führung, nämlich das Abwägen von Entscheidungen in Bezug auf die Konsequenzen, ergänzen sie damit durch Schnelligkeit und Flexibilität.
  • Manager sind lebende Informationssammelsysteme und Informationsverarbeitungssysteme. Praktisch ständig suchen sie aus allen möglichen Quellen Informationen zusammen, die mit ihrem Ausscheiden verloren gehen würden, was einer Organisation sicherlich nicht förderlich wäre.
  • Gerade die von Systemtheoretikern geforderte Intuition und "Irrationalität" der organisatorischen Entscheidungen kann von Managern naturgemäss besser erfüllt werden, als von jedem technokratischen Koordinationsinstrument.
  • Selbstkoordination setzt immer auch Fremdkoordination voraus, die von den Managern etabliert werden muss.
  • Die informellen Wege, die Manager benutzen, besitzen funktionale Effekte für die Organisation.

7. Zweidimensionale Führung

7.1. Dimensionen der Führung

Führung kann grob bezüglich zweier Dimensionen konzeptualisiert - und eventuell auch operationalisiert - werden. Diese beiden Dimensionen sind:

  1. Mitarbeiter-Dimension: Der Führer geht auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter gezielt ein oder lässt es bleiben. So kann er z.B. Feedback geben, Mitarbeiter nach Eignung einsetzen, die Aufgaben an Gruppen delegieren usw. Er ist auf den Goodwill der Mitarbeiter aus, weil Totalkontrolle dysfunktional ist.
  2. Aufgaben-Dimension: Der Führer kann den Mitarbeitern gezielt in der Erfüllung seiner Aufgabe unterstützen, indem er Aufgaben strukturiert, Mitarbeiter koordiniert, Ziele vorgibt und Belohnungen verspricht. Laut Sigmund Freud darf er dies aber nicht zu erfolgreich tun, da sonst das libidinöse Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter reduziert wird, weil sich dadurch der Mitarbeiter wieder mehr am Objekt (seiner Arbeit) als am Subjekt (Vorgesetzter) orientieren kann.

7.2. Grundstile der Führung

Diese zwei Dimensionen der Führung lassen folgende vier Grundstile der Führung zu:

  1. Laissez-faire-Führungsstil: Der Vorgesetzte führt weder mitarbeiterorientiert noch aufgabenorientiert. Er delegiert die Aufgabe vielmehr so weit als möglich und orientiert sich nur am Ergebnis, in der Annahme, dass die Mitarbeiter sich selbst am besten motivieren können und aus eigenem Willen effektiv arbeiten.
  2. "Väterlicher" Führungsstil: Der Vorgesetzte führt nur aufgabenorientiert, treibt seine Mitarbeiter also zu hoher Leistung an, ohne dabei sonderlich auf die sozioemotionale Komponente zu achten. Er ist im hohen Masse prozessorientiert.
  3. "Mütterlicher" Führungsstil: Der Vorgesetzte kümmert sich um das Wohlergehen seiner Mitarbeiter und verlässt sich darauf, dass sie den technischen Teil ihrer Arbeit auch ohne seine Hilfe erledigen können.
  4. "Macher"-Führungsstil: Der Vorgesetzte delegiert nicht, sondern ist ständig und überall präsent. Diesen Führungsstil finden wir auch häufig bei charismatischer Führung; er ist also vor allem dann angebracht, wenn die Mitarbeiter jemanden suchen, der ihnen aus der Krise hinaus hilft.

8. Attributionstheorie der Führung

8.1. Probleme und Ursachenattribution

Die Umwelt ist komplex, insbesondere die soziale Umwelt. Der Mensch sucht daher nach Ordnungsprinzipien, welche ihm helfen, Regelmässigkeiten und Unterschiede im Handeln anderer erkennen zu können. Stellt ein Vorgesetzter Kovarianzen im Handeln seiner Mitarbeiter fest, so hilft ihm das bei der Ursachenattribution, d.h. bei der Feststellung, ob die Aufgabe, die Situation oder die Person für den Handlungsausgang verantwortlich ist.

Beispiel: Ein Vorgesetzter stellt fest, dass eine Aufgabe von allen Mitarbeitern nicht gelöst werden konnte. Statt nun zu vermuten, es nur mit dummen Mitarbeitern zu tun zu habe, liegt die Attribution nahe, die Aufgabe bzw. das Umfeld für den Misserfolg verantwortlich zu machen. Eines von beiden ist also zu ändern.

8.2. Verzerrung der Attribution

Die Attributionstheorie hilft einem relativ wenig bei der konkreten Wahl, wie geführt werden sollte. Sie hilft dem Führer aber gerechter zu führen, indem er vielleicht bewusster lernt, "korrekter" zu attributieren. Denn die Attributionstheorie zeigt auf, dass eine Menge Faktoren die Attribution verzerren können, so z.B.:

  • Eine gegebene Situation ist oft schwer änderbar. Daher neigt so mancher Manager dazu, Personen für Misserfolge verantwortlich zu machen, da man auf diese ja Einfluss besitzt.
  • selbstschützende Attribution: Erfolge werden der eignen guten Führung zugeschrieben, Misserfolge aber dem Mitarbeiter bzw. der Situation.
  • Freundschaften bzw. Feindschaften beeinflussen die Attribution.
  • begrenzter Erfahrungsschatz verzerrt die Attribution.
  • eigenschaftsorientierte Attribution: Aufgrund eigener Vorstellungen bewertet man z.B. die Arbeit einer Frau bzw. eines Mannes ungerechterweise anders als die eines Mannes bzw. einer Frau.
  • Die eigene Erwartungsbestätigung tritt nicht ein und man gibt der Situation die Schuld.
  • Attributionsfehler aufgrund "guter Ausreden" der Beurteilten.

8.3. Vorgesetzten-Beurteilung

Interessant ist auch die Umkehrung der Attributionstheorie. Die Geführten beurteilen ihren Vorgesetzten, wobei sie von impliziten Vorstellungen ausgehen, wie ein Führer sich zu verhalten hat. Nur wenn der Führer diesem Bild entspricht, wird er akzeptiert. So kann es z.B. durchaus möglich sein, dass schlechte Entscheidungen als bessere Führung empfunden werden (worin sich einmal mehr die Priorität der Subjektivität über die Objektivität ausdrückt, die der Thematik Führung anhaftet), als keine Entscheidungen, einfach weil die Geführten schnelle Entscheidungen von Führern erwarten und fordern.

9. Systematische Führung

9.1. Organisationen als Teil der Umwelt

Statt von geschlossenen Systemen gehen die Systemtheoretiker von einem offenen System aus. Organisationen sind dadurch nicht nur aus selbstgenügsamen Teilen gebildet, um ein Ganzes zu bilden, welches Aufgaben erfüllen kann. Sie sind vielmehr aus autopoietischen Systemelementen aufgebaut, die aus sich selbst heraus auf die Umwelt reagieren und eine entsprechende evolutionäre Entwicklung durchlaufen. Organisationen bestehen daher nicht aus Menschen, sondern aus Handlungen, Entscheidungen, Erwartungen usw. Sie sind Teil der Umwelt. Ein Führer fragt hier nicht mehr "Wie führe ich das Unternehmen?", sondern "Wie führt sich das Unternehmen?"

9.2. Systemgerechte Führungsempfehlungen

Störungen sind in Organisationen nicht mehr zu tabuisieren, sondern als normal anzusehen. Jeder aktive Eingriff in das System führt zu unabsehbaren Folgen, denn die einzelnen Elemente sind hochgradig vernetzt miteinander. Ausgehend von dieser Basis generiert die Systemtheorie einige - allerdings ungeprüfte - Führungsempfehlungen:

  • Behandle das System stets mit Respekt!
  • Manager sollen Facilitatoren (Freiraumschaffende) sein!
  • Redundanz ist unvermeidlich, weil jedes Subsystem Selbstorganisation und Selbstreproduktion anstrebt. Basis: Selbstbeobachtung!
  • Handle hartnäckig oder zeitkritisch!
  • Akzeptiere die Vorläufigkeit deiner Entscheidungen!
  • Gönne anderen den Ruhm, auch wenn du die Vorarbeit geleistet hast!

10. Symbolische Führung

10.1. Organisationen als Miniaturgesellschaften

Die symbolische Führung versucht, den Handlungen der Organisationsmitglieder eine gewisse Sinnhaftigkeit zu vermitteln. Sie macht sich dazu das Attributionsverhalten der Geführten zunutze: Es werden als Rollen Archetypen in der Organisation etabliert, wie etwa "Vater", "Führer" und "Held", deren Funktion unmittelbar verständlich ist. Jede Handlung wird als "Ritual" und jedes Werkzeug als "Symbol" interpretiert. Die Organisation nimmt die Gestalt einer Miniaturgesellschaft an, die sich selbst organisiert und in der jeder eine tragende Rolle einnimmt. Daher ist auch der "Mann an der Spitze" nicht wichtiger als der "Normalsterbliche", auch wenn er das Vorbild für andere darstellt.

10.2. Intersubjektivität des Kulturraums

Die Subjektivität der Bedeutung der Dinge ist bei der symbolischen Führung relevant, nicht ihre objektive Funktion (wie sie die positivistischen Organisationstheorien erklären wollen). Die Organisationsmitglieder konstruieren sich selbst ihre Wirklichkeit (Konstruktivismus). Wichtig ist nur, dass intersubjektiv interpretiert wird, sodass z.B. das Symbol des "grossen Vorzimmers" für den "Führer" nicht z.T. als Verschwendung eingestuft wird, sondern als Zeichen der Macht, die ihn als archaischen "Führer" ja gerade auszeichnet.

11. Polyzentrische Führung

11.1. Mikropolitik

Die Mikropolitik kann als polyzentrische Führung bezeichnet werden, weil sie die Kraft hat, die Macht der Verhältnisse aufzubrechen. Und das heisst v.a. die Einlinienkonfiguration der Führung zu umgehen.

Die Merkmale der Mikropolitik sind:

  • Akteursperspektive.
  • Handlungsorientierung.
  • Interessenbezug.
  • Koalitionsbildungen (Stützsysteme).
  • gemischte Motivation: Kooperation oder Konkurrenz möglich.
  • regelbasierte Durchsetzung (Lücken ausnutzen).
  • Abhängigkeit zwischen den Akteuren.
  • Selbstpräsentation (Ziele deutlich vertreten).
  • Teilnehmer variieren (neue kommen dazu, alte fallen weg).
  • ungleiche Chancen, das "Spiel" zu gewinnen.
  • Rumpelstilzchen-Effekt: Wenn erkannt, dann nur noch halb so effektiv.
  • Informationskontrolle (Geheimwissen aufbauen).
  • Regelkontrolle (Gewohnheitsrecht einfordern).
  • Situationskontrolle (vollendete Tatsachen schaffen).
  • Timing (Zufälle ausnutzen).
  • Handlungsdruck erzeugen (Schikanen).

11.2. Mikropolitik als Chance begreifen

Mikropolitik ist nichts Krankes, sondern ganz normal in sozialen Systemen. Sie ist tatsächlich auch viel weiter verbreitet, als es die wissenschaftlichen Publikationen vermuten lassen (wollen). Ihre Ausuferung ist jedoch gefährlich und muss durch eine Art Führungsethik eingedämmt werden, z.B.: "Handle stets so, dass du dein Handeln jederzeit im Fernsehen vor der Nation rechtfertigen könntest!"

Übrigens: Moral ist - obwohl das oft nicht so gesehen bzw. erkannt wird - ein Kalkulationsproblem: Erst wenn man die Wahl zwischen Alternativen hat, kann man moralisch handeln!