Führen und geführt werden
Geschwurbel von Daniel Schwamm (25.07.1994)
Inhalt
Wir betrachten in dieser Arbeit verschiedene Führungstheorien. Bei Führungstheorien
handelt es sich um Aussagesysteme zur Erklärung von Führungserfolg. Im Folgenden
sei eine Übersicht der verschiedenen Führungstheorien und ihrer jeweiligen
Erweiterungen gegeben:
-
Machiavellismus
- Praktische Durchsetzungsregeln
- Machttheorie
-
Personalismus
- Eigenschaftstheorie
- Charismatische Führung (Robert House, 1977)
- Assessment-Center
- Organisationsentwicklung
-
Positivismus
- Informelle Führung (Elton Mayo, 1927)
- Rollentheorie
- Partizipativer Führungsstil
- Entscheidungstheorie der Führung (Vroom und Yetton, 1973)
-
Pragmatismus
- Kontingenztheorie (Fred Edward Fiedler, 1967)
- 3D-Theorie (William James Reddin, 1970)
- Situative Theorie der Führung (Hersey und Blanchard, 1977)
- Attributionstheorie (Mitchell und Calder, 1979)
- Management by Objectives, Management by Exception
- Organisationskultur (Peters und Waterman, 1982)
- Symbolische Führung
-
Liberalismus
- Mitbestimmung
- Teilautonome Gruppen
- Weg-Ziel-Theorie
-
Behaviorismus
- Klassische Konditionierung
-
Strukturalismus
- Bürokratische Führung (Max Weber, Anfang 20. Jahrhundert)
- Kybernetische Führung (Stafford Beer, 1973)
- Mülleimer-Modell (Olsen und March, 1972)
Führung scheint eine Männerdomäne zu sein. Dass dies so ist, ist aber nichts
Natürlich-Notwendiges, sondern vielmehr Sozial-Geschichtliches. I.d.R. liegt
die Männerdominanz in der Führung an den Männern. Jedoch tragen daran auch
die Frauen eine Teilschuld, denn Frauen neigen zum Bienenköniginnen-Syndrom:
Um ihre eigene Position nicht zu gefährden, verhindern sie insbesondere
den Aufstieg von Kolleginnen.
Die Frage nach dem besten Führungsstil ist wie die Frage nach dem besten Weg
der Genesung. Die Ärzte jeder Disziplin würden einen anderen Weg empfehlen.
Und jeder hätte weitgehend recht!
Die Wahl des optimalen Führungsstils ist ein schlecht-strukturiertes,
aber wohl-definiertes Problem. Die präskriptive Entscheidungstheorie
hilft uns daher hier nicht weiter.
Führung ist ein soziales Phänomen, keine objektive, greifbare Sache,
und also kann sie auch nicht objektiv gemessen und operationalisiert
werden.
Definitionen von Führung sind ein hoffnungsloses Unterfangen. Zu viele
Faktoren müssen berücksichtigt werden. Kurze Definitionen können immer
nur zirkulär sein, d.h., sie enthalten Begriffe, die ihrerseits nicht
wohl-strukturiert sind und auf umfangreiche Weise erklärt werden müssen.
Das Phänomen Führung kann auf zwei Arten begründet werden:
-
Empirisches Vorgehen: Man untersucht erfolgreiche
Führung auf ein bestimmtes Kriterium (z.B. eine Eigenschaft wie Dynamik)
hin. Man erhält Korrelation zwischen diesen beiden Grössen,
deren Interpretation sehr unterschiedlich ausfallen kann. Die Interpretation
muss jedoch aufgedeckt werden, denn darin zeigt sich z.B., in welcher
Richtung die Korrelation gelesen wurde, oder ob ein dritter - entscheidender -
Faktor vermutet wird. Grund: Hypothesen müssen kritisierbar und
überprüfbar sein!
-
Normatives ("theoretisches") Vorgehen: Man leitet Hypothesen
über die Zusammenhänge zweier Grössen aus einer Theorie ab,
und überprüft diese anhand empirischer Befunde auf Bewährung.
Die Interpretationsbasis ist damit schon gegeben, nämlich die Theorie, die
Kritisierbarkeit und Überprüfbarkeit nach dem Kritischen Rationalismus
(Karl Popper, 1902-1994) bereits voraussetzt.
Führung ist (a) eine soziale Tatsache, und (b) kommt in
alternativer Ausprägung vor. Dies verlangt die Untersuchung der
Führung durch die Wissenschaft, denn das Vorhandensein von (einer
bestimmten) Führung muss demnach irgendwie begründbar sein.
Problem: Aufgrund der Komplexität des Führungsproblems, neigt man
dazu, Führung ideologisch zu begründen. Ideologien schaffen
Zusammenhalt mit Gleichgesinnten, sie wirken beruhigend und stimulierend, sie
sind vereinfachende Denkraster und sie berücksichtigen das Gefühl,
dass Handeln mehr als nur ein Reagieren nach dem S-O-R-Paradigma
(Stimulus, Organismus und Reaktion) ist. Mögliche Führungsideologien sind:
- Führung existiert, weil Menschen geführt werden wollen (implizites Menschenbild)!
- Führung existiert, weil Menschen geführt werden müssen (implizites Menschenbild)!
- Hierarchien sind ein universelles soziales Prinzip (naturalistischer Fehlschluss)!
- Elite soll das Sagen haben (Faschismus)!
- Führung ist funktionell (Führung wird versachlicht und verharmlost)!
Implizite Menschenbilder bilden häufig die Basis für die ideologische,
aber als sachlich getarnte Erklärung der Führung. Solche Menschenbilder
sind z.B.:
- Rationaler Mensch (Frederick Taylor, 1856-1915)
- Soziales Gruppenwesen (Human Relation)
- Bedingt-rationaler Interessenträger (Entscheidungstheorie)
- Nutzenmaximierer (institutionenökonomische Theorie)
- Komplexer Mensch (Systemtheorie)
Ideologiekritisch argumentieren heisst nicht unbedingt,
den ideologischen Begründungen "objektive" Begründungen
gegenüberzustellen, sondern es genügt, ihnen alternativen
(ideologische) Begründungen gegenüberzustellen. Dadurch kann gezeigt
werden, dass die Unverzichtbarkeit der Führung nicht sachlich,
sondern nur ideologisch (politisch!) begründet werden kann!
Viele Eigenschaften (der Führung) sind hypothetische Konstrukte, die daher
als solche zumeist nicht direkt beobachtbar sind. Dennoch verlangt man von
ihnen relativ konkrete Merkmale, damit sie als Eigenschaften gelten können.
Diese Merkmale sind:
- zeitliche Stabilität.
- Übersituativität (immer feststellbar).
- Universalität (in jedem Menschen feststellbar).
Eine These besagt: Erfolgreiche Führer zeichnen sich durch bestimmte
Eigenschaften aus. Auch wenn inzwischen hinreichend gezeigt wurde, dass
Führer im Prinzip nur Marionetten des Marktgesetzes sind (der
Umsatzverlauf ist innerhalb einer Branche gleich, egal, welche
Führungsmannschaft am Ruder sitzt), dass es also nicht auf den
"starken Mann an der Spitze" ankommt, sondern dass der ganze Apparat und
die Situation den Erfolg bzw. Misserfolg herbeiführen, so scheinen
empirische Analysen doch diese These letztlich zu bestätigen.
Drei mögliche Gründe lassen sich dafür finden:
-
Der Führer besitzt die "Erfolgseigenschaften", weil er danach von seinen
Vorgesetzten gezielt ausgesucht wurde (Vorgesetztenattribution und
Selbstrekrutierung des Managements; Paradebeispiel: Assessment-Centers).
-
Der Führer besitzt die "Erfolgseigenschaften", weil er führt, d.h., er ist
z.B. erst dadurch selbstsicherer geworden, weil er einen Führungsposten
übernommen hat (Selbstattribution).
-
Viele Eigenschaften sind nicht objektiv messbar. Aufgrund der Schema-Theorie
(siehe nächster Abschnitt) werden einem Führer u.U. bestimmte Eigenschaften
nur zugesprochen, ohne dass er sie real besitzt.
Die Umwelt ist sehr komplex. Um sich in ihr zurechtzufinden, muss der Mensch sie
im Kopfe vereinfachen. So reduziert er bestimmte Personen auf ein Bild, eine
Kategorie, eben ein Schema, wie z.B. "Führer", "Mutter", "Krieger" usw.,
wenn er ihnen zum ersten Mal begegnet. Diese Schemata werden jedoch nicht
von jedem Menschen originell mit Inhalt gefüllt, sondern dieser wird
vielmehr sozial vermittelt - wodurch die Bedeutung der Schemata dem Zeitfluss
unterworfen ist.
Je funktioneller die Umwelt ist, desto mehr solcher Schemata liegen vor.
Zu ihrer leichteren Unterscheidung ist es wichtig, dass die
Schemata durch "Marker" ihren Identifikationsgrad erhöhen. Solche "Marker"
für einen "Finanz-Führer" können z.B. Statussymbole wie eine Rolex-Uhr sein,
während ein "Militär-Führer" hingegen etwa eine Uniform trägt. Erkennen
wir jedoch ein Schema, sprechen wir dem Schema-Träger sogleich unbewusst
gewisse Eigenschaften zu, die dieser u.U. gar nicht besitzt. Die Objektivität
ist dabei wie "geblendet", denn man abstrahiert unbewusst von der
individuellen Person und sieht nur das Soll-Schema.
Neben Personen-Schemata besitzt der Mensch auch noch
Selbst-Schemata, Ereignis-Schemata und Person-in-Situation-Schemata. Sie alle
dienen ihm dazu, sich in bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten
Personen schemagerecht zu verhalten, ohne rationale Denkprozesse dabei zu
bemühen. In Bezug auf die Führung gilt also, dass sich der
Führer durch besondere Eigenschaften hervorheben muss, um als solcher
registriert zu werden. Auch das vermag zu erklären, warum gewisse
Eigenschaften bei Führern immer wieder dominieren, da diese - um eben
Führen zu können - bemüht sind, "Marker" einzusetzen und ihr Selbst-Schema
auf das des Führer-Schemas anzupassen. Bis zu einem gewissen Grad sind
Führer dadurch die Geführten der Geführten.
Rollenträger wie "Vorgesetzte" sind nicht frei darin, wie
sie ihre Rolle ausfüllen wollen. Sie müssen sich den an sie
gestellten Erwartungen anpassen, sonst werden sie ihre Rolle wieder los.
Wesentlich stärker noch als über die Personen-Schemata, werden
hierbei Führer zu Geführten der Geführten. Eine Person hat
zusätzlich nicht nur eine Rollenerwartung, sondern viele Rollenerwartungen
zu erfüllen. Die Kultur, die Gesellschaft, die Wirtschaft, die
Organisation, die Gruppe, sie alle umschliessen die Person konzentrisch
mit ihren Rollenerwartungen.
Angesichts der beschrieben vielfältigen Rollenerwartungen muss man sich die
Fragen stellen, ob bei so viel "Aussenleitung" noch etwas von der Persönlichkeit
des (führenden) Individuums übrig bleiben kann. Unserer Meinung nach schon, denn
Rollen sind bei aller Vielfalt doch meist nur unscharf formuliert und dadurch
interpretierbar. Die meisten Menschen (und v.a. Vorgesetzte, die quasi
notwendigerweise in Rollenwidersprüchen leben müssen) sind wohl z.B. fähig,
die folgende Rollenprobleme u.a. durch eigene Prioritätensetzung oder
situativ-individuelle Wahl des Führungsstils zu meistern:
- Intra-Sender-Konflikte: Schnelligkeit und Genauigkeit werden verlangt.
- Inter-Sender-Konflikt: Durchgreifen verlangt einer, Geduld ein anderer.
- Inter-Rollen-Konflikt: Mutter und Arbeiterin werden gleichzeitig gefordert.
- Personen-Rollen-Konflikt: Pazifist soll Militär-PR in Gang setzen.
- Rollen-Ambiguität: Fliessende Ränder des Rollenauftrags.
- Rollen-Überlastung: An Inhaber werden zu hohe Erwartungen gestellt.
Menschen werden in Bezug auf Führung vorgebildet, etwa durch
gesellschaftliche Konditionierung, durch ihre Erziehung und ihre Bildung.
Ein grosser Teil der Führungsaufgaben wird in Organisationen auf
unpersönliche, technokratische Weise gelöst. Programme, Pläne
und Formalismen sind die Regel, persönliche Führung nur noch die
Ausnahme, behaupten daher auch Klaus Türk und Niklas Luhmann.
Die Rolle des Führers ist also fast bedeutungslos geworden.
Wenn persönliche Führung in Organisationen vorkommt, dann am Besten
in Form von Selbstkoordination. Wir stimmen dem bis zu einem gewissen
Grad zu: Auch wir sehen den Bereich der Führung durch Führungssubstitute
eingeschränkt, jedoch ist sie aus folgenden Gründen dennoch unverzichtbar:
-
Die technokratische Führung lässt Motivationslücken offen, die auch eine
Gruppenorientierung nicht füllen kann. Das Selbstwertgefühl eines
Mitarbeiters wird beispielsweise eher dadurch gestärkt, dass ein Vorgesetzter
die gemachte Arbeit begutachtet, als wenn dies eine Maschine oder ein
gleichrangiger Kollege erledigt.
-
Führungssubstitute müssen interpretiert werden. Vorgesetzte haben hier wichtige
Vorbildfunktionen zu erfüllen. Sie sind es auch, die den Handlungsträgern am
ehesten einen Sinn ihres Handelns vermitteln können (symbolische Führung).
-
Störungen im Ablauf der "Maschine" Organisation treten viel häufiger auf,
als die Systemtheoretiker unterstellen wollen. Nach aktuellen Untersuchungen
wird ein Manager alle paar Minuten vor ein neues Problem gestellt, welches
andere Personen oder die Situation an ihn herantragen; selten kann er einmal
eine halbe Stunde alleine für sich arbeiten.
-
80% ihrer Zeit verbringen Vorgesetzte mit Reden, um zu motivieren und Vorschläge
zu bringen. Sie beraten ihre Mitarbeiter oder senden Befehle aus, um kulturelle
Werte zu vermitteln. Technokratische Führung dagegen redet überhaupt nicht.
-
Fast immer müssen Manager Ad-hoc-Entscheidungen treffen. D.h., die Vorteile
von technokratischer Führung, nämlich das Abwägen von Entscheidungen in Bezug
auf die Konsequenzen, ergänzen sie damit durch Schnelligkeit und Flexibilität.
-
Manager sind lebende Informationssammelsysteme und Informationsverarbeitungssysteme.
Praktisch ständig suchen sie aus allen möglichen Quellen Informationen zusammen,
die mit ihrem Ausscheiden verloren gehen würden, was einer Organisation sicherlich
nicht förderlich wäre.
-
Gerade die von Systemtheoretikern geforderte Intuition und "Irrationalität" der
organisatorischen Entscheidungen kann von Managern naturgemäss besser erfüllt werden,
als von jedem technokratischen Koordinationsinstrument.
-
Selbstkoordination setzt immer auch Fremdkoordination voraus, die von den Managern
etabliert werden muss.
-
Die informellen Wege, die Manager benutzen, besitzen funktionale Effekte für die
Organisation.
Führung kann grob bezüglich zweier Dimensionen konzeptualisiert - und eventuell
auch operationalisiert - werden. Diese beiden Dimensionen sind:
-
Mitarbeiter-Dimension: Der Führer geht auf die
Bedürfnisse der Mitarbeiter gezielt ein oder lässt es bleiben.
So kann er z.B. Feedback geben, Mitarbeiter nach Eignung einsetzen, die
Aufgaben an Gruppen delegieren usw. Er ist auf den Goodwill der Mitarbeiter aus,
weil Totalkontrolle dysfunktional ist.
-
Aufgaben-Dimension: Der Führer kann den Mitarbeitern gezielt in der
Erfüllung seiner Aufgabe unterstützen, indem er Aufgaben strukturiert,
Mitarbeiter koordiniert, Ziele vorgibt und Belohnungen verspricht.
Laut Sigmund Freud darf er dies aber nicht zu erfolgreich tun,
da sonst das libidinöse Verhältnis zwischen Vorgesetzten und
Mitarbeiter reduziert wird, weil sich dadurch der Mitarbeiter wieder
mehr am Objekt (seiner Arbeit) als am Subjekt (Vorgesetzter) orientieren kann.
Diese zwei Dimensionen der Führung lassen folgende vier Grundstile der Führung zu:
-
Laissez-faire-Führungsstil: Der Vorgesetzte führt weder mitarbeiterorientiert
noch aufgabenorientiert. Er delegiert die Aufgabe vielmehr so weit als möglich und
orientiert sich nur am Ergebnis, in der Annahme, dass die Mitarbeiter sich selbst
am besten motivieren können und aus eigenem Willen effektiv arbeiten.
-
"Väterlicher" Führungsstil: Der Vorgesetzte führt nur aufgabenorientiert,
treibt seine Mitarbeiter also zu hoher Leistung an, ohne dabei sonderlich auf die
sozioemotionale Komponente zu achten. Er ist im hohen Masse prozessorientiert.
-
"Mütterlicher" Führungsstil: Der Vorgesetzte kümmert sich um das Wohlergehen
seiner Mitarbeiter und verlässt sich darauf, dass sie den technischen Teil ihrer
Arbeit auch ohne seine Hilfe erledigen können.
-
"Macher"-Führungsstil: Der Vorgesetzte delegiert nicht, sondern ist ständig
und überall präsent. Diesen Führungsstil finden wir auch häufig bei charismatischer
Führung; er ist also vor allem dann angebracht, wenn die Mitarbeiter jemanden suchen,
der ihnen aus der Krise hinaus hilft.
Die Umwelt ist komplex, insbesondere die soziale Umwelt. Der
Mensch sucht daher nach Ordnungsprinzipien, welche ihm helfen,
Regelmässigkeiten und Unterschiede im Handeln anderer erkennen zu
können. Stellt ein Vorgesetzter Kovarianzen im Handeln seiner Mitarbeiter
fest, so hilft ihm das bei der Ursachenattribution, d.h. bei der Feststellung,
ob die Aufgabe, die Situation oder die Person für den Handlungsausgang
verantwortlich ist.
Beispiel: Ein Vorgesetzter stellt fest, dass eine
Aufgabe von allen Mitarbeitern nicht gelöst werden konnte. Statt nun zu
vermuten, es nur mit dummen Mitarbeitern zu tun zu habe, liegt die
Attribution nahe, die Aufgabe bzw. das Umfeld für den Misserfolg
verantwortlich zu machen. Eines von beiden ist also zu ändern.
Die Attributionstheorie hilft einem relativ wenig bei der
konkreten Wahl, wie geführt werden sollte. Sie hilft dem Führer aber
gerechter zu führen, indem er vielleicht bewusster lernt, "korrekter"
zu attributieren. Denn die Attributionstheorie zeigt auf, dass eine Menge
Faktoren die Attribution verzerren können, so z.B.:
-
Eine gegebene Situation ist oft schwer änderbar. Daher neigt so
mancher Manager dazu, Personen für Misserfolge verantwortlich zu machen,
da man auf diese ja Einfluss besitzt.
-
selbstschützende Attribution: Erfolge werden der eignen guten Führung
zugeschrieben, Misserfolge aber dem Mitarbeiter bzw. der Situation.
-
Freundschaften bzw. Feindschaften beeinflussen die Attribution.
-
begrenzter Erfahrungsschatz verzerrt die Attribution.
-
eigenschaftsorientierte Attribution: Aufgrund eigener Vorstellungen
bewertet man z.B. die Arbeit einer Frau bzw. eines Mannes ungerechterweise
anders als die eines Mannes bzw. einer Frau.
-
Die eigene Erwartungsbestätigung tritt nicht ein und man gibt
der Situation die Schuld.
-
Attributionsfehler aufgrund "guter Ausreden" der Beurteilten.
Interessant ist auch die Umkehrung der Attributionstheorie.
Die Geführten beurteilen ihren Vorgesetzten, wobei sie von impliziten
Vorstellungen ausgehen, wie ein Führer sich zu verhalten hat. Nur wenn
der Führer diesem Bild entspricht, wird er akzeptiert. So kann es
z.B. durchaus möglich sein, dass schlechte Entscheidungen als bessere
Führung empfunden werden (worin sich einmal mehr die Priorität der
Subjektivität über die Objektivität ausdrückt, die der
Thematik Führung anhaftet), als keine Entscheidungen, einfach weil die
Geführten schnelle Entscheidungen von Führern erwarten und fordern.
Statt von geschlossenen Systemen gehen die Systemtheoretiker von einem offenen
System aus. Organisationen sind dadurch nicht nur aus selbstgenügsamen
Teilen gebildet, um ein Ganzes zu bilden, welches Aufgaben erfüllen kann.
Sie sind vielmehr aus autopoietischen Systemelementen aufgebaut, die aus sich
selbst heraus auf die Umwelt reagieren und eine entsprechende evolutionäre
Entwicklung durchlaufen. Organisationen bestehen daher nicht aus Menschen,
sondern aus Handlungen, Entscheidungen, Erwartungen usw. Sie sind Teil der
Umwelt. Ein Führer fragt hier nicht mehr "Wie führe ich das Unternehmen?",
sondern "Wie führt sich das Unternehmen?"
Störungen sind in Organisationen nicht mehr zu tabuisieren, sondern als
normal anzusehen. Jeder aktive Eingriff in das System führt zu unabsehbaren
Folgen, denn die einzelnen Elemente sind hochgradig vernetzt miteinander.
Ausgehend von dieser Basis generiert die Systemtheorie einige - allerdings
ungeprüfte - Führungsempfehlungen:
- Behandle das System stets mit Respekt!
- Manager sollen Facilitatoren (Freiraumschaffende) sein!
-
Redundanz ist unvermeidlich, weil jedes Subsystem
Selbstorganisation und Selbstreproduktion anstrebt. Basis:
Selbstbeobachtung!
- Handle hartnäckig oder zeitkritisch!
- Akzeptiere die Vorläufigkeit deiner Entscheidungen!
- Gönne anderen den Ruhm, auch wenn du die Vorarbeit geleistet hast!
Die symbolische Führung versucht, den Handlungen der Organisationsmitglieder
eine gewisse Sinnhaftigkeit zu vermitteln. Sie macht sich dazu das
Attributionsverhalten der Geführten zunutze: Es werden als Rollen Archetypen
in der Organisation etabliert, wie etwa "Vater", "Führer" und "Held", deren
Funktion unmittelbar verständlich ist. Jede Handlung wird als "Ritual" und
jedes Werkzeug als "Symbol" interpretiert. Die Organisation nimmt die
Gestalt einer Miniaturgesellschaft an, die sich selbst organisiert und
in der jeder eine tragende Rolle einnimmt. Daher ist auch der "Mann an
der Spitze" nicht wichtiger als der "Normalsterbliche", auch wenn er das
Vorbild für andere darstellt.
Die Subjektivität der Bedeutung der Dinge ist bei der
symbolischen Führung relevant, nicht ihre objektive Funktion (wie sie die
positivistischen Organisationstheorien erklären wollen). Die
Organisationsmitglieder konstruieren sich selbst ihre Wirklichkeit
(Konstruktivismus). Wichtig ist nur, dass intersubjektiv interpretiert
wird, sodass z.B. das Symbol des "grossen Vorzimmers" für den
"Führer" nicht z.T. als Verschwendung eingestuft wird, sondern als Zeichen
der Macht, die ihn als archaischen "Führer" ja gerade auszeichnet.
Die Mikropolitik kann als polyzentrische Führung bezeichnet werden,
weil sie die Kraft hat, die Macht der Verhältnisse aufzubrechen. Und
das heisst v.a. die Einlinienkonfiguration der Führung zu umgehen.
Die Merkmale der Mikropolitik sind:
- Akteursperspektive.
- Handlungsorientierung.
- Interessenbezug.
- Koalitionsbildungen (Stützsysteme).
- gemischte Motivation: Kooperation oder Konkurrenz möglich.
- regelbasierte Durchsetzung (Lücken ausnutzen).
- Abhängigkeit zwischen den Akteuren.
- Selbstpräsentation (Ziele deutlich vertreten).
- Teilnehmer variieren (neue kommen dazu, alte fallen weg).
- ungleiche Chancen, das "Spiel" zu gewinnen.
- Rumpelstilzchen-Effekt: Wenn erkannt, dann nur noch halb so effektiv.
- Informationskontrolle (Geheimwissen aufbauen).
- Regelkontrolle (Gewohnheitsrecht einfordern).
- Situationskontrolle (vollendete Tatsachen schaffen).
- Timing (Zufälle ausnutzen).
- Handlungsdruck erzeugen (Schikanen).
Mikropolitik ist nichts Krankes, sondern ganz normal in sozialen Systemen.
Sie ist tatsächlich auch viel weiter verbreitet, als es die wissenschaftlichen
Publikationen vermuten lassen (wollen). Ihre Ausuferung ist jedoch gefährlich
und muss durch eine Art Führungsethik eingedämmt werden, z.B.: "Handle stets so,
dass du dein Handeln jederzeit im Fernsehen vor der Nation rechtfertigen könntest!"
Übrigens: Moral ist - obwohl das oft nicht so gesehen bzw. erkannt wird - ein
Kalkulationsproblem: Erst wenn man die Wahl zwischen Alternativen hat, kann man
moralisch handeln!