Literarische Stilisierungsmöglichkeiten

Geschwurbel von Daniel Schwamm (12/1993)

Inhalt

1. Allgemeines

  • Bindestrich-Komposita vermeiden!
    • Beispiel: Er kam als Reifezeugnis-Antragssteller.
    • ==> Er kam, um den Antrag auf das Reifezeugnis zu stellen.
  • Nominalisierung von Verben in Prosa vermeiden!
    • Beispiel: Die Interpretierung des Textes gelang ihm gut.
    • ==> Er interpretierten den Text gut.
    Nominalisierung von Verben im wissenschaftlichen Text dagegen zu empfehlen!
  • Auflösung direkter Zugehörigkeiten vermeiden!
    • Beispiel: Hitze und Durst bewirken Schwitzen und trocken Kehle.
    • ==> Hitze bewirkt Schwitzen und Durst eine trockene Kehle.
  • Bei Beschreibung (von z.B. Landschaften) erst einen Überblick geben, dann Details nennen und sich dabei immer näher auf den Beschreibenden zu bewegen!
  • Erst berichten, dann schildern!
  • Folgerichtigkeit von Aussagen beachten (keine zu grossen Gedankenlücken zwischen Sätzen)!
  • Deutlichkeit beachten!
    • ästhetisch/intuitiv (anschaulich) bei Prosa
    • diskursiv (begrifflich) bei wissenschaftlichen Texten
  • Gleichwertige Informationen parallel in einem Satz darstellen!
  • Gesteigerte Informationen in mehreren Sätzen sukzessiv darstellen!
  • Singular-Benutzung ist anschaulicher als Plural-Benutzung!
    • Beispiel: Die Menschen leben nicht gerne allein.
    • ==> Der Mensch lebt nicht gern alleine.
  • Konkretisierung von abstrakten Begriffen zur Anschaulichkeit!
    • Beispiel: Die Menschen rannten auf die Strasse.
    • ==> Männer, Frauen und Kinder rannten auf die Strasse.
  • Substitution von Fremdwörtern durch deutsche Wörter steigert die Anschaulichkeit - auch im wissenschaftlichen Texten!
    • Beispiel: Die Katze dezimiert die Population der Mäuse.
    • ==> Die Katze frisst Mäuse.
  • Seins-Verben durch andere Wörter ersetzen!
    • Beispiel: Sie hatte Angst.
    • ==> Sie ängstigte sich.
  • Nicht allgemeine Verben bzw. Adjektive benutzen, sondern spezielle!
    • Beispiel: Das Wetter war schön.
    • ==> Das Wetter war sonnig.
  • Füllwörter (Adverbien wie ganz, voll, noch, ...) sind verpönt!
    • Beispiel: Er war total nass und völlig ausgekühlt.
    • ==> Er war nass und ausgekühlt.
  • Verbal gebundene Sätze sind besser als Substantivierungen!
    • Beispiel: Bei Fortdauer der Preissteigerung werde ich...
    • ==> Steigen die Preise weiter, werde ich ...
  • Wortkomposita nicht übertreiben!
    • Beispiel: Eine Fensehgebührenerhöhungsklage ...
    • ==> Eine Klage gegen die Erhöhung von Fernsehgebühren ...
  • Sparsamer Gebrauch von Fachbegriffen - ausser man will eine Wissenschaftlichkeit vortäuschen, die nicht da ist (etwa in der Werbung und bei Studenten beliebt)!
  • Keine Wiederholungen eingeführter Begriffe bzw. Personennamen im gleichen Satz oder Abschnitt (Substitution durch Pronomen oder synonyme Begriffe)!
    • Beispiel: Schiller lachte. Schiller sagte: "Hallo!"
    • Beispiel: Der Wallenstein-Autor lachte. Er sagte: "Hallo!"
  • Bei dem Volk nahestehenden Kontext kurze Sätze verwenden!
    • Beispiel: "Lauf nach links, dann runter, durch die Küche und ..."
    • ==> "Lauf nach Links. Dann weiter runter. Durch die Küche. Und schliesslich ..."
  • Der Einschub eines kurzen Satzes zwischen langen Sätzen erregt die Aufmerksamkeit des Lesers - daher für pointierte Antithesen geeignet.
  • In Prosa-Texten die Attribute nicht vor das Subjekt stellen!
    • Beispiel: Das vordere, geschlossene Tor ...
    • ==> Das Tor, welches vorne lag und abgeschlossen war, ...
    In wissenschaftlichen Texten können dagegen durchaus auf diese Weise Information in komprimierter Form vermittelt werden.
  • Zeitwörter an den Satzanfang stellen!
    • Beispiel: Er ging, nachdem er gegessen hatte, weg.
    • ==> Nachdem er gegessen hatte, ging er weg.
  • Einklammerungen (eingeschobene Sätze) vermeiden!
  • Reizvoll sind nachgestellte Attribute!
    • Beispiel: Die treue Gattin lief ihm nach.
    • ==> Die Gattin, die treue, lief ihm nach.
  • Feierlich wirken vorangestellte Genitiv-Attribute!
    • Beispiel: Der starke Arm des Freundes half ihr ...
    • ==> Des Freundes starker Arm half ihr ...
  • Aposiopesen (Auslassungen) effektiv für Drohungen und Ausschluss anderer!
    • Beispiel: Wenn Sie sie missbraucht haben, dann bring ich Sie um.
    • ==> Wenn Sie sie ..., dann ...
  • Expressionistisch: Anreicherung mit stilistischen Mitteln!
    • Beispiel: Das Haus war verschlossen.
    • ==> Das im schummrigen Dämmerlicht gespenstig wirkende Haus war mit einem schwerem Schloss verschlossen worden.
  • Impressionistisch: Verblose Nominalsetzung (Ein-Wort-Satz)!
    • Beispiel: Ein leises Geräusch ertönte und er bekam Angst.
    • ==> Ein Geräusch. Leise nur. Angst überfiel ihn.
  • Militärisch: Abgehackte, pronomenlose Sätze!
    • Beispiel: Ich habe den Befehl zum Aufbruch gegeben.
    • ==> Habe den Befehl zum Aufbruch gegeben.
  • Impressionistisch: Interpunktionelle Abtrennungen!
    • Beispiel: Das Haus war leer und der Garten verwaist.
    • ==> Das Haus war zu. Und der Garten verwaist.
  • Bei Benutzung erweiterter Subjektattribute vom Unwesentlichen zum Wesentlichen übergehen!
    • Beispiel: Für das teure, grosse Auto war er zu arm.
    • ==> Für das grosse, teure Auto war er zu arm.
  • Für spontane Kommentare die Parenthese (Texteinschub) nutzen!
    • Beispiel: Er griff sofort zu.
    • ==> Er griff - wie könnte es anders sein - sofort zu.
  • Auflockerung durch unwichtigere Nachkomma-Sätze!
    • Beispiel: Im Süden liegt die Stadt, im Norden das Meer.
    • ==> Im Süden liegt die Stadt, im Norden das Meer, leicht gewellt vom Winde.
  • Lange Kettensätze mittels wobei, wodurch, aber ... vermeiden und stattdessen interpunktionelle Abtrennungen vornehmen.
    • Beispiel: Er ging runter, wodurch er im Kanal landete, indem er ...
    • ==> Er ging runter. Im Kanal angekommen ...
  • Dauerndes Sein im Präsens schreiben!
    • Beispiel: Er landete dort, wo die Flüsse zusammenflossen.
    • ==> Er landete dort, wo die Flüsse zusammenfliessen.
  • Wie-Vergleiche im Präsens wiedergeben!
    • Beispiel: Er lachte so wie eine Ziege meckerte.
    • ==> Er lachte so wie eine Ziege meckert.
  • Für Alltägliches und immer noch Gegenwärtiges Präsens einsetzen!
    • Beispiel: Er blieb sitzen, weil er gehbehindert war.
    • ==> Er blieb sitzen, weil er gehbehindert ist.
  • Das Durchbrechen des Präteritums mit dem Präsens ist stilistisch möglich zur Vergegenwärtigung einer bestimmten Situation.
    • Beispiel: Sie trafen sich. Ihre Schwerter schlugen aufeinander ...
    • ==> Sie trafen sich. Ihre Schwerter schlagen aufeinander ...
  • Perfekt als ständige Vergangenheitsform vermeiden, da sonst laufend unschöne Wiederholung von Haben-Formen nötig sind!
    • Beispiel: Er hat gelacht und war hinausgegangen.
    • ==> Er lachte und ging hinaus.
  • Das Perfekt ist als Futur II-Substitut legitim anwendbar!
    • Beispiel: Und er wusste: Morgen werde ich es geschafft haben.
    • ==> Und er wusste: Morgen habe ich es geschafft.
  • Präteritum-Formulierungen in futuristischem Kontext sind möglich!
    • Beispiel: Er wusste, am nächsten Tag wird Weihnachten sein.
    • ==> Er wusste, am nächsten Tag war Weihnachten.
  • Das Plusquamperfekt kommt nur bei Präteritum-Erzählungen zum Einsatz!
    • Beispiel: Es läuft dorthin, wo es zuvor gewesen war.
    • ==> Es läuft dorthin, wo es zuvor war.
    • ==> Es lief dorthin, wo es zuvor gewesen war.
  • Modalwörter wie solche Beteuerungswörter wohl, vielleicht, natürlich, ganz, ... vermeiden!
    • Beispiel: Das hatte er wohl ganz bestimmt nicht erwartet.
    • ==> Das hatte er nicht erwartet.
  • Einsatz des unbestimmten Kollektivsubjekts (man) bei allgemeinen, aber schwer begründbaren Aussagen nützlich!
    • Beispiel: Rülpsen? Nein, so etwas tun Menschen nicht!
    • ==> Rülpsen? Nein, so etwas tut man nicht!
  • Um Behördendeutsch auszudrücken - ebenso wie Beschreibungen von Landschaften, Kochrezepten und Berichten -, eignet sich das Passiv!
    • Beispiel: Auf den Rasen zu Treten ist verboten!
    • ==> Das Betreten des Rasen ist verboten!
  • Gefahren bei Passiv-Benutzung: Anonymität und Werden-Benutzung!
    • Beispiel: Sie wurde weggeführt. Dann wurde sie untersucht ...
    • ==> Sie wurde weggeführt. Dann liess sie sich untersuchen ...

2. Böllsche Stilistik (01/1994)

  • Interessante Wortkonstruktionen:
    • anheischig machen, interpolierende Note Sechs, gute Kaffeeköchin, Zweieinhalb-Zimmer-Bad-Wohnung, idealistisch-jugendliche Schwärmerei
  • Ironisches:
    • sie war gebildet, aber auch promoviert.
  • Charaktere:
    • Nichtbürgerlich im bürgerlichen Rahmen. Fallen meist durch eine Abart auf, sind z.B. Betrachter ihrer Exkremente oder Geniale des Sinnlichen.
  • Wortspiele mit feinen Nuancen:
    • nicht Bademantel, sondern Morgenrock; ich fand und finde; regierender Papst und regionaler Kardinal; er war und ist, gesetzlos wie ungesetzmässig.
  • Wörtliche Rede-Zitate zur Heldenbeschreibung
    • Beispiel: Jeder hätte gesagt: "Toll sieht die aus!"