Fragmente der Organisationspsychologie I
Geschwurbel von Daniel Schwamm (28.05.1994)
Inhalt
Bestimmungsmerkmale von Gruppen sind u.a.:
-
Rollendifferenzierung: I.d.R. wird in Gruppen eine
Arbeitsteilung vorgenommen. Die Rolle, die dabei jeder einnimmt, hängt ab
von seinem sozialen oder formalen Status. Typisch ist in diesem Zusammenhang
z.B. die Hackordnung, bei der es eine klare Rangordnung zwischen den
Mitgliedern der Gruppe gibt.
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Überdurchschnittlich viele Kontakte: Die
Interaktionshäufigkeit zwischen Gruppenmitglieder ist i.d.R. höher
als die Interaktionshäufigkeit zwischen Nicht-Gruppenmitgliedern. Ein
soziales Gesetz besagt, dass dadurch Freundschaft und Sympathie laufend
gefestigt bzw. verstärkt werden.
-
Wahrgenommene Ähnlichkeit: Die
Gruppenmitglieder befinden sich i.d.R. in der gleichen oder in einer
ähnlichen Situation, wodurch relativ leicht ein innerer
Zusammenschluss zwischen den einzelnen Individuen erreicht wird.
Gruppennormen legen das erwartete Beitragsniveau zum Erhalt
der Gruppe von jedem Mitglied der Gruppe fest. Dadurch findet eine
Deindividualisierung der Mitglieder statt. Zur Einhaltung der Normen
verfügen Gruppen i.d.R. über Sanktionsmassnahmen, die bis hin
zum Ausschluss aus der Gruppe gehen können. Erhoben und gemessen
werden Gruppennormen meist über Befragungen bzw. Beobachtungen, jedoch ist
bei diesen Methoden zu erwarten, dass von den Umgebungsnormen stark
abweichende Gruppennormen von den Mitgliedern der Gruppe bewusst
geheim gehalten werden.
Die Gruppenkohäsion gibt das Mass an, wie attraktiv
die Mitgliedschaft in der Gruppe für ihre Mitglieder ist. Die
Gruppenkohäsion spiegelt also das Anreizniveau wieder, welches bei
entsprechender Ausprägung auch Personen zu Gruppen
zusammenschweisst, die genauso gut interdependent agieren könnten.
Erhoben und gemessen wird die Gruppenkohäsion über Befragungen und
Beobachtungen, z.B. bezüglich des Arbeitsklimas. Ein relativ objektives
Mass ist z.B. die Relation Binnenkontakte:Aussenkontakte der
Gruppenmitglieder. Allerdings geht diesem Mass einiges an Aussagekraft
verloren, da die Organisationsstrukturen die Kontakthäufigkeiten u.U.
verfremden können, indem sie z.B. Gruppenmitglieder räumlich verteilt
platziert.
Es ist wichtig zu bemerken: Eine hohe Gruppenkohäsion
korreliert positiv mit einer hohen Arbeitszufriedenheit, korreliert aber nicht
unbedingt auch mit einer höheren Gruppenleistung (im Gegensatz zur Annahme
des Human-Relation-Ansatzes). Insofern müssen kohäsionssteigernde
Massnahmen zur Gestaltung der Arbeit nicht in jedem Fall mit einer
Output-Steigerung einhergehen. Aber dafür verbessern sie fast immer die
Fluktuationsraten und Krankenstandraten, wodurch dem Unternehmen insgesamt
Effizienzvorteile erwachsen.
Eine Erhöhung der Gruppenkohäsion lässt
sich beispielsweise durch Einrichtung teilautonomer Arbeitsgruppen realisieren.
Hier können die Arbeiter selbst die Mitglieder ihrer Gruppe rekrutieren,
hier können sie selbst die Individualziele der Gruppenmitglieder auf die
Gruppenziele und die Gruppenziele der Gruppen auf die Unternehmensziele
ausrichten. Nötig dazu ist allerdings eine Kommunikationsstruktur, die die
intragruppale Interaktionshäufigkeit steigert. Der Partizipationseffekt der
teilautonomen Gruppen wirkt sich dann i.d.R. hauptsächlich auf die
qualitative Dimension der Leistung positiv aus.
Formelle Strukturen liegen in Organisationen in schriftlich
fixierter Form vor, z.B. in Form von Stellenbeschreibungen und
Organigrammen.
Informelle Strukturen sind nicht schriftlich fixiert. Sie
kommen i.d.R. in Form von Gruppennormen vor, wie wir sie weiter oben gesehen
haben.
Werden zwischen formalen und informellen Strukturen
Abweichungen erkannt, so deutet dies an, dass die formalen Strukturen die
Bedürfnisse der Betroffenen nicht hinreichend berücksichtigt haben.
Dies erfordert eine organisatorische Korrektur, wobei jedoch Wert darauf zu
legen ist, dass auch strukturell-korrigierend und nicht nur
personal-korrigierend vorgegangen wird.
Da die formalen Strukturen schriftlich fixiert vorliegen,
müssen sie nicht explizit erhoben werden. Anders sieht dies bei den
informellen Strukturen aus, für deren Erhebung sich Fragebögen
eignen, die ein Soziogramm (grafische Darstellung der Beziehungen in
einer Gruppe) mit Daten versorgen können. Eine mögliche
Frage auf solch einem Fragebogen zur Erhebung der informellen Strukturen
wäre z.B.: "Mit wem im Unternehmen würden Sie besonders gerne
zusammenarbeiten?" Fragentechnisch muss verhindert werden, dass
Tüchtigkeitsmerkmale mit Beliebtheitsmerkmalen in einen Topf geworfen
werden, denn man möchte ja die informellen Strukturen des Arbeitssystems
aufdecken und nicht die informellen Strukturen eines Feierabendstammtisches.
Eine Analyse des Soziogramms zeigt Aussenseiter, Schlüsselpersonen und
Sündenböcke auf. Ergänzt werden können diese Ergebnisse durch Beobachtungen;
die Sitzordnung in der Kantine, spontane Kooperationen und (konspirative)
Treffen sind hier z.B. relevant.
Berücksichtigung finden die Ergebnisse der Erhebung der
informellen Strukturen in der Änderung der formalen Strukturen. So kann
z.B. Job Rotation initiiert werden, es können neue
Kommunikationskanäle eingerichtet werden, es können räumliche
Änderungen vorgenommen werden, und es können regelmässige
Besprechungen zwischen bestimmten Gruppen institutionalisiert werden.
Die Organisationspsychologen interpretieren soziale Konflikte,
z.B. Konflikte zwischen zwei Abteilungen, die beide auf die gleichen knappen
Ressourcen zugreifen wollen, i.d.R. als leistungshemmend. Ganz anders sehen
dies die Organisationssoziologen: Sie interpretieren soziale Konflikte als
etwas durchaus Positives. Warum, werden wir gleich sehen.
Soziale Konflikte sind meist Rollenkonflikte, d.h. Konflikte, die durch
bestimmtes Rollendenken entstehen. Unterschieden werden müssen hier:
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intraindividuelle Rollenkonflikte: Der Träger mehrerer
Rollen sieht sich vor das Problem gestellt, dass sich die eine Rolle (z.B.
die der Mutter) nicht mit einer anderen Rolle (z.B. die der Geschäftsfrau)
verträgt.
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interindividuelle Rollenkonflikte: Verschiedene
Rollenträger sehen sich vor das Problem gestellt, dass die Rolle des
Einen (z.B. Putzfrau) sich nicht mit der Rolle eines Anderen (z.B.
Nachtarbeiter) verträgt.
Solche sozialen Konflikte können manifest oder latent
sein. Sie entstehen v.a. durch die Heterogenität der einzelnen Rollen, die
in einem Unternehmen von oben bestimmt werden, die untereinander koordiniert
werden müssen, bei denen Machtasymmetrien vorliegen, die im Wettbewerb
zueinanderstehen usw. All diese Punkte können deutlich leistungshemmend
wirken. Die positiven Aspekte von sozialen Konflikten, wie sie die
Organisationssoziologie herausgearbeitet hat, spielen jedoch ebenso eine Rolle
für die Leistung: Bei Konflikten steigt der Gruppenzusammenhalt ("Wir
gegen die anderen"-Gefühl), die Zielorientierung ist ausgeprägter,
und die Bereitschaft, sich Autorität zu unterwerfen, wächst hin bis
zum reinen Befehlsempfänger.
Generell können Konflikte als Quelle von Änderungen
betrachtet werden. In einer dynamischen Umwelt sind aber laufende
Änderungen für das Überleben des Systems evident. Mit anderen
Worten: Konflikte innerhalb einer Organisation sind von immanenter Wichtigkeit.
Konflikte erfüllen nur dann ihre positive Kraft, wenn sie nicht ignoriert
werden, sondern Änderungen an den Organisationsstrukturen hervorrufen, die
letztlich auf eine Beseitigung der Konflikte hinauslaufen. Und diese
Konfliktbeseitigung wird erreicht durch:
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Konfliktminderung: Die Zeit löst den Konflikt auf.
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Konfliktunterdrückung: Der jeweils Mächtigere verhindert die
Eskalation des Konflikts durch Herrschaft.
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Konfliktauflösung: Die am Konflikt beteiligten Gruppen bzw. Individuen
finden einen Kompromiss oder einen Konsens, der das Problem beseitigt.