Fragmente der Organisationspsychologie II
Geschwurbel von Daniel Schwamm (14.05.1994)
Inhalt
Der Handelnde bewertet sein Ergebnis selbst, ohne dazu den
Vorgesetzten zur Rate zu ziehen. Zwei Theorien erklären, wie dies
geschieht:
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Die Attributionstheorie liefert dem Handelnden
Erklärungen für Erfolge bzw. Misserfolge. Der Handelnde
identifiziert durch eine Kausal-Attribution, ob und wie das Ergebnis von ihm
selbst oder der Situation bestimmt war. Folgende Ursachen für sein Handeln
kann er identifizieren:
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Begabung: Ist internal und relativ stabil.
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Anstrengung: Ist internal und relativ variabel.
-
Aufgabenschwierigkeit: Ist external und relativ stabil.
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Glück: Ist external und relativ variabel.
Natürlich besitzen subjektiv identifizierte internale
Ursachen für den Erfolg/Misserfolg einer Handlung eine
grössere Wirkung auf die Motivation des Handelnden, als dies
externale Ursachen vermögen. Man hat daher versucht, durch Schulung
Handelnde dazu zu bringen, Misserfolge auf externale und Erfolge auf
internale Ursachen zurückzuführen. Doch das persönliche
Handlungsbewertungsmuster ist eine relativ stabile Struktur, die sich kaum
umgewöhnen lässt. So gibt es Leute, die Misserfolge stets auf
ungünstige Bedingungen zurückführen, während andere sie
wesentlich persönlicher nehmen und sich als Versager fühlen.
-
Die Gleichheitstheorie nach Adams hilft dem
Handelnden, seine persönliche Beiträge zu bewerten, indem er sie mit
denen von ausgewählten Bezugspersonen (i.d.R. gleichgestellte Kollegen)
vergleicht. Den Handelnden interessiert also nicht nur, ob er Erfolg oder
Misserfolg hatte, sondern auch, was er im Vergleich zu anderen dazu
gemacht hat. Wird ein relatives (nicht absolutes!) Ungleichgewicht zwischen
seiner Input-Output-Relation und der einer Bezugsperson festgestellt, wird
Ungleichheit empfunden, was laut Adams mit Spannungen einhergeht, die auf eine
Reduzierung der Ungleichheit drängen. Die Reduktion der Ungleichheit kann z.B.
dadurch erfolgen, dass der eigene Einsatz gemildert wird, dass man
sich eine andere Bezugsperson sucht u.a.m. Was für den Handelnden
letztlich Einsatz und Ertrag darstellt, hängt weitgehend von ihm selbst ab
(ausser bei einer transformationaler Führung, wo u.U. normative
Wertvorstellungen durch die Vorgesetzten indoktriniert werden können).
Adams propagiertes Ungleichgewicht geht mit dem Gefühl
der Unzufriedenheit einher, welches jedoch von der Nicht-AZ abzugrenzen ist.
Für die AZ relevant sind hauptsächlich (intrinsische) Motivatoren,
während die (extrinsischen) Hygienefaktoren alleine die Unzufriedenheit
reduzieren können. Allerdings existieren auch andere Konzeptionen der AZ;
AZ ist nicht einfach zu definieren, woraus auch eine grundsätzliche
Valididitätsschwäche jeglicher AZ-Messung einhergeht. Z.B. fliesst
der AZ-Begriff auch in die Motivation ein, die man vielleicht als AZ mit
dauerhaftem Zukunftscharakter bezeichnen könnte.
Das Ziel der Manager ist nicht der faule, zufriedene
Mitarbeiter, sondern der schöpferisch, unzufriedene Mitarbeiter;
angestrebt wird daher die sog. progressive AZ, deren Mass sich durch
Soll-Ist-Vergleiche ergibt. Wichtig zur Steigerung ist es - ganz im Gegensatz zu
Taylor - dem Handelnden das Gefühl von Kontrolle über seine Arbeit zu
vermitteln, will er sie gestalterisch bearbeiten können. Daraus resultiert
im hohen Masse intrinsische Motivation und eine Reduzierung der
Arbeitsentfremdungsproblematik.
Hohe AZ geht - so wird behauptet - mit einer hohen Leistung
einher. In empirischen Studien kam man allerdings diesbezüglich nur auf
den kläglichen Korrelationskoeffizienten von 0.3, obwohl die Praktiker
viel eindeutigere Ergebnisse erwarteten (nach dem Motto: Glückliche
Kühe geben mehr Milch). Die niedrige Korrelation ist aber so niedrig
nicht: Erstens ist die AZ-Messung, wie oben erwähnt, mit
Validitätsproblemen behaftet. Und zweitens hängt die Leistung auch
noch von diversen situativen Faktoren und der Fähigkeiten der Handelnden
ab. Zudem muss geprüft werden, was genau gemessen wird: Das die AZ
zur Leistungssteigerung führt, dass die Leistungssteigerung zu AZ
führt, oder dass es einen dritten Faktor geben soll, der auf AZ und
Leistung gleichermassen wirkt.
Es wird auch behauptet, dass hohe AZ mit niedriger
Fluktuation und niedrigem Krankenstand einhergeht. Korrelative Beweise lassen
sich dafür finden, jedoch sind auch sie nicht übermässig
eindeutig. Das deutet darauf hin, dass auch hier situative Faktoren - etwa
die Arbeitsplatzsituation - auf die Bedürfnisse der Handelnden einwirken.
Ein Ergebnis haben die empirischen Studien allerdings recht eindeutig belegen
können: Die AZ korreliert bei Männern stärker mit der allgemeinen
Lebenszufriedenheit als bei Frauen, d.h., die AZ ist für Männer
wichtiger als für Frauen.
Die Führer, die den Motivationstheorien anhängen,
fragen sich immerzu: Wie bekomme ich die ganze Arbeitskraft meiner Mitarbeiter?
Darin steckt die implizite Annahme, dass die Mitarbeiter absichtlich
weniger arbeiten, als sie können. Der Ursprung jeglicher Motivation beruht
demnach auf Misstrauen. Und misstrauisch sind v.a. die, denen das
Leben übel mitgespielt hat. Die die Urheber dieses Unglücks aber so
gut wie nie die direkten Geführten waren, ist das Misstrauen ihnen
gegenüber ungerechtfertigt; es beruht nicht auf Fakten, sondern ist
Vorurteil.
Belohnungssysteme sind - wie oben gezeigt - nicht nur eine
ungerechte Sache, sondern auch nicht auf Dauer effizient. Extrinsische
Motivation wirkt nur kurzfristig, danach verlangt sie eine ständige
Steigerung (die auch nicht unbegrenzt anhält, weil die Bedürfnisse
noch des Gierigsten irgendwann erfüllt sind), sonst verlieren sie ihre
motivierende Wirkung und wirken sogar demotivierend!
Die Demotivation durch Belohnung beschreibt Sprenger in einer
Geschichte, in der es darum geht, dass ein alter Mann ständig von
Kindern gehänselt wird, bis er ihnen dafür Geld bezahlt, die
Belohnung aber konstant reduziert, bis die Kinder sagen: Für so wenig Geld
Ärgern wir dich nicht mehr! Es gibt weitere Beispiele, dass
extrinsische Motivation nicht an die intrinsische herankommt. Obwohl die
Grossen im Fussball Unsummen im Falle eines Sieges gewinnen, gelingt
es doch immer wieder völligen Aussenseitern den Pokal zu erobern,
obwohl sie nichts als Ruhm dafür zu erwarten haben.
Nicht zuletzt wirken Belohnungssysteme auch deshalb
demotivierend, weil i.d.R. nur ein kleiner Teil der Belegschaft in den
Genuss von Incentives gerät, während der weitaus
grösste Teil leer ausgeht - oder sogar irgendwelche Bestrafungen
hinzunehmen hat. Nach der Theorie der Manager wird also ein kleiner Teil der
Belegschaft motiviert, während der grosse Rest demotiviert wird - das
wird wohl kaum breite Leistungssteigerungen mit sich bringen.
Völlig übersehen wird bei den Anhängern von Belohnungssystemen,
dass es Menschen gibt, die besessen sind von ihrer Arbeit; die braucht man
nicht mit Geld zu ködern, die rennen einem auch so über das Ziel
hinaus. Und warum? Weil ihre Arbeit intrinsisch motivierend ist, weil sie sich
mit ihrer Arbeit identifizieren, weil sie dabei ein Gefühl des "Floats"
erleben, des Einswerden mit der Tätigkeit. Die Profilierungssüchtigen
dagegen, die starten nur bis zum Lob durch - ist danach nicht mehr zu erwarten,
bremsen sie sofort hart ab und halten den Status quo. Erst durch neue
Köderung sind sie dazu zu bewegen, ihren Pflichten voll nachzukommen.
Ihnen geht es nicht um die Tätigkeit, sondern nur um die Belohnung.
Es ist schon verrückt: Die Organisationstheoretiker
beweisen immer wieder die Überlegenheit von kooperativen Teams gegenüber
den über Boni-Systeme angetriebenen Einzelkämpfer, und doch setzten
die Manager halsstarrig auf letzteres. Damit kann man nur vermuten, dass
Manager im grossen und ganzen Menschen sind, denen im Leben Böses
widerfahren ist, dass sie ein so schlechtes Menschenbild entwickelt
haben, und dass sie daher nicht mehr fähig sind, von ihren
persönlichen Überzeugungen zu abstrahieren - die ja stets subjektiv
sein müssen -, um auf die objektiven Tatsachen besser eingehen zu
können, die die Organisationswissenschaft aufzeigt. Vielleicht sollte ja
in Zukunft Manager in Unternehmen nach anderen Kriterien eingestellt
werden.
Unten stehend sehen wir ein Bild des Unternehmens, wie sie in
ihr Umfeld eingebettet liegt.
Führung:
-> Das Top-Management gibt das SOLL vor
Umwelt: Bereiche des Unternehmens:
- Ökologie
- Soziales Versorgung: Vollzug:
- Ökonomie -> Kapital -> Produktion
- Technik -> Informationen -> Absatz
Beschaffung Absatz
-> Lieferanten -> Märkte
Das Modell der integrativen Unternehmensführung
berührt das obige Führungsfeld, betrifft jedoch auch alle anderen
gezeigten Bereiche, da es auf die partizipative Mitarbeit der Geführten
setzt. Die integrative Unternehmensführung folgt im Wesentlichen dem St.
Galler-Management-Modell, welches Vorgaben gibt zur Methodik der
Mitarbeiterführung (z.B. die Instrumente der Personalpolitik) und zur
Methodik der Entscheidungsfindung (z.B. die Techniken des Managements). Es
besitzt die gleiche kybernetische Sichtweise, dass nämlich das
Management Regler, Rückkoppler und Kontrolleur des Unternehmens darstellt.
Dazu postuliert es die folgenden sieben Grundsätze zur
Unternehmensführung für Manager:
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Manager sind ausschlaggebend für den Erfolg eines
Unternehmens: Darin zeigt sich wieder der Gedanke, dass das Management
Regler und Motor des Unternehmens darstellt. So weit Entscheidungen nicht
delegierbar sind, muss sie der Manager alleine treffen; das bürdet
ihm viel Verantwortung auf, v.a. auch, weil es bei ihm liegt, wie weit er das
unternehmerische Umfeld beachtet. Es muss ihm jedenfalls klar sein,
dass der Staat, die Kunden, die Lieferanten und die Kapitalgeber jeweils
unterschiedliche Ziele besitzen, die alle berücksichtigt werden
wollen.
Auch innerhalb hat jeder Teilbereich seine Teilziele, die er
rücksichtslos verfolgt. So will der Vertrieb ein billiges Auto, die
Produktion ein schönes und die Forschung ein zukunftsweisendes.
Häufig werden Projektmanagements ins Leben gerufen, damit ein Mann - der
Projektleiter - diese divergierenden Teilziele unter ein Dach bringt.
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Die Manager müssen Geführte als Menschen mit
eigenen Zielen betrachten: Nur so können sie zu konstruktiver Mitarbeit
bewegt werden. Wichtig ist dies auch deshalb, weil es hilft, den richtigen
Menschen am richtigen Arbeitsplatz zu haben. Eine introvertierte Person zum
Projektmanager zu machen, muss fast zwangsläufig schief gehen.
Ausserdem kann durch diesen Grundsatz das Motto: Motivation durch
Identifikation, besser eingehalten werden. Weiss der Bäcker z.B.,
dass seine Lehrlinge gerne experimentieren, kann er sie auch mal Dinosaurier
backen lassen.
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Der Manager muss externe/interne Informationen
erhalten: Dazu ist ein funktionierendes Informationssystem nötig. Eine
Informationsquelle kann z.B. die Konkurrenz sein. Beispielweise kann ein
Produktmanager das Konkurrenzauto auf einer Ausstellung inspizieren, um dann
konstruktive Vorschläge für die eigene Produktion formulieren zu
können.
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Die Manager sollten den Rücken frei haben vom
Tagesgeschäft: Das System der Organisation sollte ohne sein Zutun laufen.
Man muss sich auf die selbstregulierenden Kräfte innerhalb der
Organisation verlassen können, was durch Team-Bildung und technische und
transparente Planungssysteme und Kontrollsysteme gefördert werden kann.
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Die Manager haben die Zukunft des Unternehmens zu sichern:
Dies bedeutet v.a. die Innovationspotenziale in allen Bereichen nicht zu
blockieren. Sie sollten vielmehr zielbewusst erkannt und gefördert
werden, zusammen mit einer Markteinschätzung für das neue Produkt. So
investiert BMW trotz des Risikos in den USA, weil dadurch Kundennähe zum
grössten Automarkt der Welt erreicht wird, den zu kennen sich allemal
lohnt; ausserdem fördert dies das deutsch-amerikanische
Verhältnis, was sich ebenfalls in barer Münze auszahlen kann.
Einen Teil der Unternehmensplanung (die ja das Überleben
derselben sichern soll) kann der Manager über Produktlebenszyklen
formulieren. Dabei muss er nach dem Gesetz der Portfolio-Analyse darauf
achten, dass ein Produkt bis zum Reifegrad genügend Geld eingebracht
hat, um davon ein innovatives Produkt herstellen zu können. Nur so ist auf
Dauer ein Überleben der Organisation zu erreichen.
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Manager müssen die sachliche und zeitliche
Flexibilität im Unternehmen aufrechterhalten: Flexibilität ist das
Kriterium für Wettbewerbsvorteile; eine Organisation muss daher
anpassungsfähig sein, d.h. es muss z.B. auch einmal ein Sonderauftrag
ohne Qualitätsverlust in die laufende Produktion eingeschoben werden
können u.ä.
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Der Manager muss die Organisation als Ganzes
betrachten: Er soll nicht einzelne Bereiche besonders fördern; Chancen und
Risiken sind gleichgewichtig in allen Bereichen zu sehen. Die Produktion sollte
z.B. reibungslos verlaufen, was aber eigentlich nur bei konsequenter
Marktbeobachtung Sinn macht, damit am Ende nicht zu viel oder das falsche
produziert wird.
Vroom stellte die Erwartungstheorie der Motivation vor. Daraus
wurde die Weg-Ziel-Theorie und die Theorie der charismatischen Führung
abgeleitet. Die Gesamtmotivation einer Person resultiert dabei aus:
- der intrinsischen Motivation.
- der extrinsischen Motivation.
- der erwarteten Belohnung im Erfolgsfalle.
Die Weg-Ziel-Theorie (transaktionale Führung nach Burns)
versucht, die gegebenen Bedürfnisse der Geführten zu erkennen, um sie
durch Erfüllung derselben ködern zu können, damit sie mehr
leisten, weil sie dann motivierter sind. Das läuft auf ein (langwierigen)
Aushandlungsprozess zwischen Führer und Geführten hinaus.
Die charismatische Führung geht einen etwas anderen Weg: Sie ködert die
Geführten nicht durch ihre eigene Erwartungen, sondern führt ihnen
höhere Ziele vor Augen, die sie dann in ihr eigenes Zielsystem aufnehmen.
Die charismatische Führung impft gewissermassen den Geführten neue Bedürfnisse ein.
Ein Aushandlungsprozess ist hierbei nicht vonnöten.
Zwei Theorien um die charismatische Führung konkurrieren miteinander:
- Die Theorie der charismatischen Führung von House.
- Die Theorie der transformationalen Führung von Burns/Bass.
Letztlich laufen beide Theorien auf das Gleiche hinaus: Die
charismatische Führung ist der direkten oder der rein
mitarbeiterorientierten Führung überlegen. Erreichen kann sie dies
durch einen charismatischen Führers, der die Geführten aufgrund der
folgenden - nach Burns/Bass/House erlernbaren! - Merkmale optimal motivieren
kann:
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Visionen werden nach House zum gemeinsamen Ziel erklärt
(z.B. Tausendjähriges Reich oder "I have a dream").
-
Die Ziele sind hoch gesteckt; die Arbeit zur Erlangung derselben wird nicht verschwiegen.
-
Der charismatische Führer hat Vorbildfunktion, was das
Selbstvertrauen der Geführten schürt.
-
Der Führer hört auch dem Geringsten zu und nimmt
ihn Ernst, auch wenn er ihm intellektuell weit überlegen sein sollte. Der
Führer ist wie ein wohlwollender Vater.
-
Der Führer nutzt nach Burns Konflikte zur intrinsischen
Motivation. Er ist dabei ein Katalysator für die Bewusstwerdung
dieser Konflikte, die latent-intergruppal immer vorhanden sind.
-
Der Führer ist glaubwürdig. In letzter Konsequenz ist auch ein Lügner
glaubwürdig, so lange er nur seine eigenen Lügen glaubt.
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Der Führer steht voll hinter seinen Leuten, auch dann,
wenn sie objektiv falsch gehandelt haben. Als Lohn erhält er absolute
Treue und Loyalität der Geführten.
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Der Führer weiss mehr als andere. Er hat
Geheimwissen, ist immer als erster vor Ort. Er kennt die Menschen, Freunde wie
Feinde, sehr gut.
Folgende Merkmale gehören nach unserer Meinung auch zum
charismatischen Führer, sind jedoch im Gegensatz zu den Theorien von Burns/Bass
und House nicht erlernbar:
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Der Führer rekrutiert sich aus einer politisch
ohnmächtigen Gruppe. Gandhi, Jesus, Martin Luther King sind hierfür
Beispiele. Aber dem muss nicht so sein, wie an Karl dem Grossen oder
Hitler gesehen werden kann.
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Eine gewisse Situationsgebundenheit ist beim Auftauchen von
grossen charismatischen Führern zu beobachten: Alles stimmte, die
Zeit war reif für sie. Wie Fidel Castro einmal schrieb, wäre z.B.
ein Napoleon zur Zeit von Karl des Grossen unmöglich gewesen.
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Das Bild des charismatischen Führers ist dynamisch und
ergibt sich nach der Attributionstheorie aus der Sicht der Geführten: Sie
bestimmen, wenn sie als Führer akzeptieren wollen. Diese These zeigt zwar,
dass Führung nichts aristokratisch-angeborenes ist, also im Prinzip
erlernbar ist, dass aber das, was zu Erlernen ist, dem Zeitfluss
unterliegt und nicht konstant ist, ja, ihm sogar etwas von Zufälligkeit
anhaftet, da Menschenbilder nicht rational einsehbar sind.
Modelle der Bürokratie stellen Organisationen als
Apparate da, in denen die Menschen unpersönliche Rollen nachgehen, um
bestimmte Funktionen zu erfüllen, die das Überleben der Organisation
sichern sollen. Diese Auffassung entspricht den funktionalen Erklärungen
der bürokratischen Organisationsstrukturen, wie sie verschiedene
Organisationsmodelle wiedergeben. Doch das ist zu kurz gedacht. Ein einziger
Blick in reale Organisationen zeigt, dass dort neben den formalen
Strukturen auch noch ein Wust informeller Strukturen existiert. Formale
Gleichstellung bedeutet in Organisationen daher nicht, dass sie auch
machtpolitisch gleichgestellt sind. Der Grund dafür ist der, dass
Menschen in Organisationen nicht nur ihre formalen Funktionen erfüllen,
sondern stets auch eigene, persönliche Ziele verfolgen, die einen mehr,
die anderen weniger.
Das oben gesagte lässt sich in vier Axionen ausdrücken:
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In Organisationen existiert neben einem fixen Machtpotenzial auch ein
flutendes, das nicht an bestimmte Personen gebunden ist.
-
Macht, die von Aussen kommt, wirkt in die
Organisation hinein. So können gesellschaftliche Zwänge nicht
ignoriert werden, selbst wenn sie gesetzlich (formal) nicht verankert
wurden.
-
Es gibt Menschen mit ausgeprägten Machtbedürfnissen und andere, die Macht
nicht interessiert. Daraus resultiert hauptsächlich die divergierende Machtverteilung.
-
Um eine Machtkumulation zu erreichen, gehen Machtgierige
i.d.R. Koalitionen mit anderen ein, wodurch sich informelle Machtstrukturen
bilden, die die formalen Strukturen u.U. sogar aus den Angeln heben
können.
Es gibt verschiedene Formen, wie sich Autorität
begründen lässt:
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Hierarchische Autorität (Amtsautorität):
Diese Autorität gibt die Macht wieder, die dem Träger einer Rolle
formal, nach bürokratischen Aspekten zugewiesen wurde. Sie ist relativ
immun gegen mikropolitische Anfechtungen.
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Personale Autorität: Die Autorität, die
auf Wissen und z.B. Koordinationsfähigkeiten beruht, bedarf des Beifalls
anderer, was sie mikropolitisch ausserordentlich leicht angreifbar
macht.
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Konspirative Autorität: Graue Eminenzen
verfügen oft über ein Geheimwissen, was ihnen eine gewisse
Unantastbarkeit und charismatische Aura vermittelt.
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Induzierte Autorität: Macht kann man auch
dadurch kumulieren, indem man Mitglied in vielen Koalitionen ist; dadurch kann
man an vielen Fäden ziehen, will man eigene Ziele durchsetzten.
Mikropolitische Angriffe können aber u.U. zum Ausschluss aus den
Koalitionen führen.
Grunewald unterscheidet zwei Arten von Machtbedürfnissen bei Personen:
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Personen mit
personalisierten Machtbedürfnissen: Solche Menschen findet man
häufig in privaten Organisationen vor. Sie lieben den Kampf
Mann-gegen-Mann, sie sammeln Statussymbole, und sie leben den Sozialdarwinismus
(nur der Starke überlebt).
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Personen mit sozialisierten Machtbedürfnissen: Solche Menschen
findet man häufig in öffentlichen Einrichtungen vor. Entweder ist dort das
persönliche Machtstreben eher sanktioniert worden, oder Menschen mit
sozialisierten Machtbedürfnissen sehen Macht von sich aus als etwas an, das eher
altruistisch als egoistisch verwendet werden sollte.
Laut Werner Kirsch existieren diverse Wege, Macht zu kumulieren.
Einige davon sind:
-
Anderen helfen und dann Gegenleistungen einfordern - u.U.
nach dem Don-Corleone-Prinzip mit Zinsen!
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Mehr Schein als Sein-Strategie fahren. Leute, die sich davon
beeindrucken lassen, weil sie den Schein nicht erkennen, sprechen diesen
Personen dann mehr informale Macht zu, als ihnen formal zusteht.
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Koalieren ohne Ende. Induzierte Autorität ansammeln,
wobei dafür gesorgt werden muss, dass die verschiedenen
Koalitionen bei der Stange gehalten werden. Ein Führer ohne zu
Führende ist ein Widerspruch in sich.
Mikropolitik kann funktionale und dysfunktionale Wirkung
besitzen. Man kann sie funktionell als Bindeglied zwischen rein
bürokratischen Organisationen und rein organischen (aus professionellen
Teams aufgebaute) Organisationen sehen. Die Theorien der Mikropolitik helfen bei
der Erklärung bestehender Organisationen, sollten jedoch auch bei der
Organisationsgestaltung Berücksichtigung finden, damit ihre funktionellen
Vorteile maximal genutzt werden können. Die Vorteile der Mikropolitik sind
im Einzelnen:
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Auf Mikroebene: Menschen haben Situation eher im Griff und
sind dadurch zufriedener.
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Auf Mesoebene: Vorgesetzte besitzen auch Einfluss in
informellen Bereichen, was so manches Projekt erst realisierbar macht.
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Auf Makroebene: Machtentropie wird vermieden, was
Innovationen und Flexibilität förderlich ist.
Nachteile der Mikropolitik sind:
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Auf Mikroebene: Isolierung, Mobbing und Role Overloading.
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Auf Mesoebene: Emotionalisierung der Vorgesetzten-Angestellten-Beziehung.
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Makroebene: Koalitionen können wirksame Blockaden
gegen Änderungen des Status quo errichten.