Organisationstheorien II: Organisationstheorien im Überblick

Geschwurbel von Daniel Schwamm (24.07.1994)

Inhalt

1. Einleitung

Lange Zeit galt Webers Bürokratie-Modell als einzige rationale Organisationsform, obwohl er selbst bemerkte, dass dies nur in Bezug auf niedrig qualifizierte Arbeitskräfte gilt. Höher Qualifizierte empfinden den Bürokratismus als "eisernen Käfig", der ihnen die Menschlichkeit und Eigenverantwortung raubt. Doch bereits bald nach Weber erkannte man die situative Bedingtheit, dem das Bürokratiemodell unterliegt, und also begann man sich nach neuen Organisationsformen umzusehen. Der Ausfluss dieser Bemühungen - die Organisationstheorien - sind jeweils in Bezug auf das Menschenbild und des historischen Bedingungsrahmens zu interpretieren, um ihre Intention verstehen zu können.

2. Scientific-Management

  • Zeit: Um 1910.
  • Bedingungsrahmen: Niedrige Qualifikation; Massenproduktion; Verkäufermarkt; Existenzbedürfnisse dominierten.
  • Menschenbild: Mechanistisches Menschenbild (Maschine mit Störfaktoren).
  • Vertreter: Taylor, ein von der protestantischer Ethik geprägter Rationalisierungssüchtiger.
  • Konzeption: Damit der Mensch den Wirkungsgrad von Maschinen erlangt, muss seine Arbeit zerlegt werden - dies gilt auch für die Arbeit von Meistern (Funktionsmeisterprinzip). Die Arbeit muss ergonomisch gestaltet werden. Die Arbeit muss zum Arbeitnehmer passen. Es muss ein leistungsorientiertes Lohnsystem gestaltet werden. Es müssen vernünftige Arbeitszeiten ermittelt werden (damit die Arbeiter nicht wie im 19. Jahrhundert wegen permanenter Übermüdung weniger leisten können). Über wissenschaftliche Experimente, wie Arbeitsstudien und Zeitstudien, Eignungstests und Anreizsysteme finden Ingenieure (nicht Manager!) objektive Gestaltungskriterien für die Arbeitsplätze - dadurch kommt es zu einer Harmonisierung zwischen Führern und Geführten.

3. Bürokratie-Modell

  • Zeit: Um 1920.
  • Bedingungsrahmen: Wachsender Verwaltungsapparat ==> mehr Angestellte mit höheren Lohn- und Zielniveau; Prestige- und Aufstiegsdenken dominierten.
  • Menschenbild: Bürokratischer Mensch (Aufgabenträger)
  • Vertreter: Weber; Fayol.
  • Konzeption: Laut Weber ist die Bürokratie die effizienteste Form der Koordination von Menschen auf ein Ziel hin. Zusätzlich ist sie die einzige Form legaler (satzungsgemässer) Herrschaft. Ihr Idealtypus sieht eine hohe Ausprägung der Strukturen Amtsbildung, Amtsführung, Aktenmässigkeit und Hierarchie vor. Die klassischen Organisationsprinzipien fügen deduktiv weitere praxisorientierte Soll-Strukturen wie z.B. das Fayolsche Ein-Linien- bzw. Stabs-Linien-System hinzu. Es wird von einem geschlossenen System ausgegangen, d.h. es wird von der Situation, in der sich die Organisation befindet, abstrahiert. Die Prinzipien erheben den Anspruch der Generalität, ohne auf empirische Evidenz verweisen zu können. Die sozioemotionale Komponente findet keine Beachtung. Der Gefahr der Pedantokratie begegnet Weber mit der Forderung nach einem charismatischen Führer an der Spitze der Organisation.

4. Human Relations-Ansatz

  • Zeit: Um 1930.
  • Bedingungsrahmen: Die Existenz ist gesichert, das Ausbildungsniveau gestiegen ==> höhere Bedürfnisse werden wach.
  • Menschenbild: Sozial-motiviertes Gruppenwesen (Bedürfnisträger).
  • Vertreter: Mayo, Maslow, McGregor, Herzberg.
  • Konzeption: Die Hawthorne-Experimente Mayos zeigten, dass das "sich um die Mitarbeitern kümmern" einen Leistungszuwachs bringt. Die HR-Vertreter verlangen die beziehungsorientierte Führung bzgl. Gruppen, wobei sie davon ausgehen, dass Arbeitszufriedenheit mit höherer Leistung einhergeht. Das kann jedoch nicht bestätigt werden, denn Arbeitszufriedenheit alleine ist nicht noch zielgerichtet. Die Human Relations-Vertreter orientieren sich daher stärker an der Motivation des Einzelnen, fordern ein Management by Motivation, wobei sie jedoch nur extrinsische Hygienefaktoren im Auge haben. Es besteht eine Neigung dazu, manifestierte Konflikte "schönzureden", anstatt ihre Behebung anzustreben.

5. Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie

  • Zeit: Um 1940.
  • Bedingungsrahmen: Wohlstandsgesellschaft; Automation; IT; Unternehmen wachsen; Umwelt wird komplexer; Professionalisierung nimmt zu ==> Selbstentfaltungsbedürfnisse dominieren.
  • Menschenbild: Entscheidungsträger.
  • Vertreter: Barnard (Vorläufer); Simon; March; Cyert.
  • Konzeption: Die Vertreter dieser Richtung wissen, dass die Informationsverarbeitungskapazität des Menschen beschränkt ist, er zwar grundsätzlich versucht rational zu handeln, dies aber nicht völlig erreichen kann. Die präskriptive Entscheidungstheorie gibt vor, wie wohl-strukturierte Probleme gelöst werden können. Die deskriptive Entscheidungstheorie versucht zu erklären, wie schlecht-strukturierte (aber wohl-definierte) Probleme in der Praxis gelöst werden. Eine allumfassende Theorie, die das menschliches Entscheidungsverhalten erklärt, gibt es (noch) nicht. Stattdessen integriert die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie einzelne Theorien der Sozialwissenschaften, v.a. die motivationsorientierten Theorien, um Erklärungen für individuelle Entscheidungen zu liefern, die Erklärungen für kollektive Entscheidungen liefern, die wiederum Erklärungen für Organisationsentscheidungen liefern. Einen Verstehens-Ansatz (wie er z.B. zur Interpretation der Wirkung der Organisationskultur bezüglich des Verhaltens wichtig wäre) lehnt die Entscheidungstheorie ab. Ebenso billigt sie den Organisationsstrukturen keinen grossen Einfluss auf das Verhalten der Organisationsmitglieder zu.

6. Systemtheoretische Ansätze

  • Zeit: Um 1950/1960.
  • Bedingungsrahmen: Umwelt-Komplexität und -Dynamik wächst; EDV-Aufkommen; Wohlstand weiterhin hoch ==> Selbstentfaltungsbedürfnis dominant.
  • Menschenbild: Komplexer Mensch (an die Umwelt angepasst).
  • Konzeption: Im Gegensatz zum Bürokratie-Modell gehen die systemtheoretischen Ansätze von einem offenem System aus, d.h. der Einfluss der Umwelt auf die Organisation muss beachtet werden ==> das macht ein situatives Denken erforderlich. Im Gegensatz zum Human Relation-Ansatz beachten die systemtheoretischen Ansätze neben den extrinsischen Hygiene-Faktoren auch die intrinsischen Motivatoren. Es wird explizit die Optimierung des soziotechnischen Systems angestrebt. Und im Gegensatz zur Entscheidungstheorie vernachlässigen die systemtheoretischen Ansätze nicht die Bedeutung der Strukturen bzgl. des Verhaltens der Mitglieder der Organisation.

6.1. Organisationssoziologische Variante

  • Vertreter: Etzioni; Pugh.
  • Konzeption: Organisationen und insbesondere Organisationsstrukturen müssen sich nach dem Situativen Ansatz, den die organisationssoziologische Variante des systemtheoretischen Ansatzes propagiert, den situativen Bedingungen anpassen. Über empirische Befunde soll festgestellt werden, welche Strukturen sich in welcher Situation bewährt haben. Es wurde z.B. festgestellt, dass Organisationen wie Werbeunternehmen, die dynamische Märkte bearbeiten, vorwiegend organisch (statt bürokratisch) strukturiert sind. Daraus wird für die Organisatoren die Empfehlung abgeleitet, bei vorliegen dynamischer Marktgegebenheiten die Spezialisierung gering, die Formalisierung gering und die Delegation hoch zu gestalten. Das täuscht jedoch einen Determinismus vor, der faktisch nicht gegeben ist. Das strategische Wahlkonzept von Cyert, welches zu den interaktionsorientierten Ansätzen gehört, zeigt z.B., dass es zu gegebenen Situationen i.d.R. immer mehrere alternative Strukturen gibt, zwischen denen gewählt werden kann.

6.2. Kybernetische Variante

  • Vertreter: Thompson; Beer; Ulich; Malik; Propst.
  • Konzeption: Organisationen sind nach Aussage der kybernetischen Variante der systemtheoretischen Ansätze offene Systeme, die zu komplex sind, um noch von Managern und Mitarbeitern rational geführt werden zu können. Als soziale Systeme haben sie aber die Fähigkeit zur Selbstorganisation, sofern diese nicht durch Fremdorganisation behindert wird. Die Manager müssen daher laut der ungeprüften Regeln der evolutionären Ansätze, die auf der kybernetischen Variante aufsitzen, lernen, Respekt vor dem System zu haben, ihre Entscheidungen als vorläufig zu akzeptieren, auf Pläne bzw. Programme und Formalismen zu verzichten, Aufgaben an Gruppen zu delegieren, und zeitkritisch oder hartnäckig immer wieder Energie auf die Lösung von Problemen zu verwenden. Ist das System aufgrund seines Potenzials (seines "Compools") adaptiv-lernfähig genug, dann wird es überleben, ansonsten wird es ausselektiert.

7. Interaktionsorientierte Ansätze

  • Zeit: Um 1970/1980.
  • Bedingungsrahmen: Ruf nach Sozialverträglichkeit der Technik; flexible IT; Japan-Schock; Erdöl-Krise ==> neokonservative Wende der Wirtschaftspolitik; allgemeiner Wertewandel.
  • Menschenbild: Mensch als Sinnsuchender; Mensch als Interessenträger.
  • Konzeption: Nachdem die systemtheoretischen Ansätze hauptsächlich die Organisationsstrukturen und die Umwelt im Auge haben, feiern bei den interaktionsorientierten Absätzen die Akteure ihr Comeback. Spielräume, zwischen denen die Organisationsmitglieder wählen können, und die Beweggründe für das individuelle Handeln spielen hier eine Rolle. Das deduktiv-nomologische Erklären wird um den Verstehens-Ansatz ergänzt, wohinter die Erkenntnis steht, dass subjektiven Sinnzusammenhänge oft ausschlaggebender für das Handeln in und von Organisationen ist, als die objektiven Wirkungszusammenhänge.

7.1. Organisationskultur

  • Vertreter: Weick; Peters; Waterman.
  • Konzeption: Der Japan-Schock rüttelte die Westwirtschaft auf, in ihrem Rationalitätsprinzip die einzige effiziente Arbeitsform zu sehen. Mit dem Kopieren japanischer Organisationsstrukturen ist jedoch noch nichts erreicht, man muss auch die Organisationskultur mit übernehmen. Der Mensch ist in unserer Zeit des Wertewandels ein Wesen auf der Suche nach Sinn. Nur symbolische Führung (als Teil der Organisationskultur) kann die intersubjektive Sinnhaftigkeit in den alten oder neuen Organisationsstrukturen zu Wege bringen. Die Organisationsmitglieder begreifen sich dann als Teil eines autopoietischen Systems oder einer Miniaturgesellschaft, wo jedes Schicksal mit dem des anderen verknüpft ist. Der Bezug auf die Archetypen der Urgesellschaften wirkt allerdings oft eher verdunkelnd, als erhellend, um Interaktionsmuster erklären zu können.

7.2. Mikropolitik

  • Vertreter: Burns; Mintzberg; Bosetzky.
  • Konzeption: Die Mikropolitik ist wichtig, um den Machtaspekt hervorzuheben, der bei den Organisationstheorien, die funktionelle Erklärungen für bestimmte organisatorische Erscheinungen liefern wollen, häufig vergessen wird. Über die Mikropolitik erhält man eine realistische Einschätzung darüber, wie Menschen sich zueinander verhalten. So können mit ihrer Hilfe Schwachstellen (nämlich Manipulations-Möglichkeiten) beispielsweise in den Organisationsentwicklungskonzepten aufgezeigt werden. Theorien über Mikropolitik haben auch gezeigt, dass es sich dabei um ein normales soziales Phänomen handelt und nicht um ein Fehler im System. Viele dysfunktionale Effekte (z.B. unsachliche Entscheidungen) gehen mit ihr einher, aber auch viele funktionale (z.B. Umgehung starrer formaler Kommunikationswege; siehe auch Transaktionskosten-Theorie). Mikropolitik darf nicht ausufern, wofür eine ethische Führung zu sorgen hat, sie darf aber auch nicht überbewertet werden, da das unnötig teure oder inhumane Kontrollen zur Folge haben kann.

7.3. Transaktionskosten-ökonomische Variante

  • Vertreter: Coase (Vorläufer); Williamson; Ouchi.
  • Konzeption: Die Ölkrise führte der Westwirtschaft anschaulich vor Augen, wie wichtig der gesicherte Zugriff auf knappe Ressourcen ist. Jeder Mensch sucht nach der TK-Theorie seinen Nutzen an einer Ressource zu maximieren, wobei sich dieser Nutzen nicht nur auf monetäre Grössen bezieht. Die TK-Theorie innerbetrieblich angewendet, zeigt auf, dass die Gestaltung von Profitcenter trotz der damit verbundenen Doppelarbeiten ökonomisch sinnvoll ist, da die in Eigenverantwortung versetzten Manager die ihnen alleine zur Verfügung stehenden Ressourcen effektiver nutzten, als wenn sie auf einen kollektiven Ressourcenpool zugreifen müssten. Grund: Die Profitcenter-Manager handeln untereinander die besten institutionelle Arrangements mit den niedrigsten TK aus. Ouchi hat mit seinem Clan-Modell auch den "Wert" der Organisationskultur über die TK-Theorie demonstriert: Durch die intersubjektiven Normen, die ein faires Miteinander fordern, können die TK eingespart werden, die sonst für Informationssysteme, Kontrollsysteme und Steuersysteme angefallen wären. Die TK-Theorie jedoch zur allgemeinen Begründung von Strategien zu verwenden, wäre zu kurz gedacht: Die rationale Ökonomie ist nicht alles, worauf sich Strategien stützen sollten.