Philosophie der Neuzeit

Geschwurbel von Daniel Schwamm (27.11.1994 bis 05.12.1994)

Inhalt

1. Kants Kritizismus

Als Immanuel Kant (1724-1804) seine Philosophie entwickelte, befand er sich positionell zwischen den Rationalisten und Empiristen. Am Rationalismus störte ihn der dogmatische Charakter, am Empirismus störte ihn die Nicht-Objektivität. Zu dieser Mittelposition fand Kant jedoch spät, eigentlich erst, nachdem er aus seinem "dogmatischen Schlummer" erwacht war, in den er durch Gottfried Leibniz verfallen war. Grund für dieses Erwachen war das Werk David Humes gewesen.

Kant behauptet nun, zur Erkenntnis seien Erfahrung und apriorische Mechanismen gleichermassen notwendig. Das Ding an sich, das wahre Sein, ist für den Menschen nicht direkt erkennbar, jedoch stösst es Empfindungen im Menschen an, die zur Anschauung führen, die den Stoff der Erkenntnis liefern. Diese Anschauungen alleine sind noch keine Erkenntnis! Wird jedoch über die Anschauung, d.h. über die Erscheinung des Dings an sich, aktiv nachgedacht, wobei die apriorischen Anschauungen von Raum und Zeit sowie die Verstandeskategorien eingesetzt werden, so gewinnen wir die Form des Objekts. Stoff und Form zusammen liefern neue Erkenntnisse über ein Objekt. Es gilt, dass die Form überindividuell einmalig ist, während der Stoff von jedem Betrachter anders wahrgenommen wird; daher wird es nie eine einheitliche Sicht der Dinge geben!

Ähnlich den Rationalisten glaubte Kant, dass dem Menschen gewisse Fähigkeiten von Geburt an gegeben sind, mit deren Hilfe er Erkenntnisse zu erlangen vermag. Dazu bedarf es jedoch in der Regel empirischer Anschauungen, um den Erkenntnisapparat überhaupt erst anzustossen. Zu den apriorisch gegebenen Fähigkeiten zählt Kant die Anschauungen von Raum und Zeit sowie verschiedene Kategorien des Verstandes. Zu diesen Kategorien zählt er beispielsweise die Kausalität. Sie ist nicht (unbedingt) real gegeben, sondern vielmehr ein Instrument des Verstandes, um empirische Transformationen einordnen und Nachvollziehen zu können. Wenn also ein Ereignis auf ein anderes folgt, so muss dahinter kein realer kausaler Naturmechanismus stecken, auch wenn es uns so erscheint. Das Raum und Zeit nur Anschauungen unseres Erkenntnisapparats sind, und nichts real Gegebenes, beweist er folgendermassen:

Raum und Zeit selbst sind keine Empfindungen, denn mittels ihnen vermögen wir Empfindungen erst zu ordnen. Was aber der Ordnung von Empfindung dient, kann selbst nicht Empfindung sein. Raum und Zeit sind auch keine Vorstellung, die von aussen kommt, denn sie sind uns vor jeder Erfahrung bereits bekannt - sie lassen sich nicht wegdenken. Die Geometrie ist räumlich, die Analysis ist zeitlich, beide sind notwendig, und also ist ebenso Raum und Zeit notwendig. Nach Kants Urteilsverständnis müssen Raum und Zeit daher apriorische Kategorien sein.

Das die Welt in Wahrheit oft anders funktioniert, als uns unsere Sinne glauben machen wollen, wusste man zur Zeit Kants bereits. Er verglich sich zum Beispiel selbst mit Nikolaus Kopernikus (1473-1543), der den äusseren Schein des ptolemäischen Weltbildes als unwahr entlarvte, indem er zeigte, dass sich die Erde um die Sonne dreht - und nicht umgekehrt.

Ein interessantes Detail lässt sich aus Kants Philosophie ableiten: Dadurch, dass alle Erkenntnisse einer empirischen Grundlage bedürfen, die Anschauungen hervorrufen, ist damit gleichzeitig auch eine Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit aufgezeigt. Wir sind also letztlich nicht fähig, eine absolute Erkenntnis zu erlangen (auch schon alleine deswegen nicht, weil wir nur die Erscheinungen des Dings an sich wahrnehmen können)!

Sah Kant den einzelnen Menschen bezüglich seiner Erkenntnisfähigkeit als ziemlich begrenzt an, so gestand er ihm ansonsten eher grosse Freiheiten zu, zum Beispiel bezüglich des Willens und der Vernunft. Denn Raum und Zeit sind ja nach Kant nur Anschauung, nur Schein - von Determinismus kann hier also keine Rede sein, obwohl Kant aus dem Gefühl heraus insgesamt eine apriorische Richtung aller Erkenntnis vermutet. So bedeutet seiner Meinung nach ein Verstoss am kategorischen Imperativ eine Leugnung dieser Richtung. Er drückte dies in dem Satz "Du kannst - denn du sollst" aus. Das Beispiel zeigt, dass prinzipiell eine Wahlfreiheit besteht, welche Richtung man einschlagen möchte.

Kant sah drei Kräfte im Menschen walten, die ihm seine Erkenntnisse lieferten. Die determinierte reine Vernunft, die freie praktische Vernunft, und die vermittelnde Vernunft des Gefühls, die Urteilskraft, die teleologisch ist, d.h., nach dem Zweck einer Erkenntnis fragt und sie danach beurteilt. So lässt sich zwar z.B. die Idee von Gott nicht über die reine Vernunft als notwendig beweisen, jedoch vom Gefühl her als praktische Vernunft darstellen. Ebenso verhält es sich mit dem freien Willen, der nicht notwendigerweise gegeben sein muss, aber als regulative Idee sinnvoll (praktisch) erscheint.

Nach Kant erlangt der Mensch Erkenntnisse, indem er über Anschauungen in Begriffen nachdenkt, d.h. sich Urteile bildet. Ein Urteil besteht aus Begriffspaaren von Subjekten und Prädikaten. Er unterscheidet analytische und synthetische Urteile. Ein analytisches Urteil wie z.B. "Alle Körper sind ausgedehnt" erweitert unsere Erkenntnisse nicht, da hier dem Subjekt nur ein Prädikat zugestanden wird, welches diesem bereits innewohnt. Bei einem synthetischen Urteil wie z.B. "Alle Körper sind schwer" wird dem Subjekt jedoch ein neues Prädikat zugeordnet, was unsere Erkenntnis über das Subjekt erweitert. Zu analytischen Urteilen sind wir a priori fähig, d.h. vor jeder Erfahrung, während synthetische Urteile in der Regel zuvor Erfahrungen bedürfen. Nach Kant gibt es aber auch den interessanten Fall der synthetischen Urteile a priori; er nennt sie transzendentale Erkenntnisse, d.h. Erkenntnisse, die über die Erfahrung hinausgehen (sie sind auch gleichzeitig die höchsten anstrebbaren Erkenntnisse)!

Zu synthetischen Urteilen a priori, wie zum Beispiel "Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Gerade", ist der Mensch mittels der Verstandeskategorien befähigt, die u.a. mathematische Sätze und die Logik umfassen. Im Unterschied zu gewöhnlichen synthetischen Urteilen a posterori sind diese Urteile allgemein und notwendig, gelten also immer. Nach Kant sind empirische Erkenntnisse dagegen nicht beweisbar, sondern Ansichtssache! Empirisch lässt sich nur ermitteln, dass etwas ist, nicht aber, dass es notwendigerweise so ist!

Nach Kant ist nicht einmal die cartesische Erkenntnis "Ich denke, also bin ich" ein Beweis für die eigene Existenz! Grund: Das Ich ist an keine empirische Grundlage gebunden, besitzt demnach kein Ding an sich in der Realität. "Ich" ist nur ein leerer Begriff, über den es keine Erkenntnis geben kann. Es gilt: Begriffe ohne Anschauungen sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Auch die Metaphysik der Rationalisten ("Luftbaumeister") bezeichnet Kant als leere Erkenntnis, da die Welt als Ganzes nicht Teil der Erfahrungswelt sein kann. Den ontologischen Gottesbeweis lehnt Kant aus dem gleichen Grund ab, und stellt ihm einen teleologischen Beweis entgegen: Es zeugt von praktischer Vernunft, hinter der Welt eine steuernde Kraft, also Gott, zu vermuten.

Als geniale Künstler betrachtete Kant Menschen, die gegen den Strom schwimmen und dadurch die Kunst um neue Elemente bereichern. Der reine Nachahmungstrieb ist dagegen nicht-schöpferisch. "Genie ist das Talent, welches der Kunst die Regel gibt".

2. Der Idealismus und die Romantik

Kant hatte, wie eben beschrieben, zwischen den Anschauungen der jenseitigen Autoritäten (Spekulation) und der diesseitigen Autoritäten (Tatsächlichkeiten) zu vermitteln versucht. Der Idealismus entfernte sich in der Folge hingegen wieder von der Empirie (d.h., er wurde spekulativer), während die Romantik sich mehr zum Realismus hin entwickelte.

2.1. Der spekulativer Idealismus

Der spekulative Idealismus ignoriert die Erfahrung.

2.2. Der ich-metaphysische Idealismus nach J.G. Fichte

Laut Kant ist im Menschen die Form der Erscheinungswelt bereits a priori gegeben, während der Stoff eher subjektiv-zufällig erkannt wird. J.G. Fichte (1762-1814) behauptet nun, dass Stoff und Form aus demselben Grund resultieren, d.h., sowie ich alles über das Subjekt weiss (und damit auch über die Form), weiss ich auch alles über das Objekt (und damit auch über den Stoff). Denn das Subjekt ist stets bestimmend für das Objekt (und nicht etwa umgekehrt, wie der Misserfolg der Scholastik zeigte).

Nach Fichte ist der gesamte Inhalt der Erscheinungswelt alleine aus dem Ich deduzierbar; Erfahrungen stören dabei eigentlich nur. Empfindungen gehören zum Subjekt und werden von diesem gesteuert, also nicht von der Aussenwelt, wie Kant lehrt. Mit anderen Worten: Das Ich bedarf nicht der Aussenwelt zur Erkenntnis! Allerdings existieren im Menschen Naturtriebe zur Aussenwelt hin, die man auch ausleben sollte, obwohl sie dem Ideal vom reinen Ich zuwiderlaufen. Da das Ich tätig sein will, benötigt der Mensch Freiheit und ein Arbeitsfeld, damit es sich voll entfalten kann.

2.3. Der naturmetaphysische Idealismus nach F.W.J. Schelling

F.W.J Schelling (1775-1854) war in seinem Denken sehr wandlungsfähig, weshalb man ihn auch den Prometheus der Philosophie nannte. Sein wichtigster Beitrag zur Philosophie ist die Identitätslehre: Ähnlich wie Fichte glaubt er, dass Stoff und Materie aus einem identischen Weltgrund entstanden sind. Im Gegensatz zu Fichte meint Schelling aber, dass nicht der subjektive Geist, sondern die objektive Natur die Erscheinungen hervorbringt. Die Dinge besitzen also bereits in der Natur neben ihrer materiellen Stofflichkeit auch eine ideelle Form. Der Widerstreit dieser beiden Kräfte bringt den Fluss der Erscheinungen hervor, der letztlich aber wieder den absoluten Identitätszustand anstrebt. Es gilt: Es ist der Geist der Natur, der die Materie formt, wobei er sich aber an bestimmte Einschränkungen halten muss, die der Materie auferlegt sind.

2.4. Der geschichtsmetaphysische Idealismus nach G.W.F. Hegel

G.W.F. Hegel (1770-1831) betrachtet die Wirklichkeit als Selbstverwirklichung der metaphysischen Idee. Diese Selbstverwirklichung geht dialektisch fortschreitend vor sich, die vom Philosophen vollständig erkannt werden kann. Die Thesis stand am Anfang des Universums, die Antithesis in der Mitte und die Synthesis (Hegels Philosophie) an seinem Ende. Jeder dieser "Dialektik-Sprünge" besteht selbst wiederum aus dialektischen Sprüngen, die Thesis am Anfang z.B. aus Sein, Nichtsein und Werden.

Der Geist strebt im Menschen nach Entfaltung. Zunächst nur der subjektive Geist im Einzelwesen, der individuelle Vernunft hervorbringt. Danach der objektive Geist in der Menschheit, der soziale Vernunft hervorbringt. Und schliesslich der absolute Geist als Synthese, der die ganzheitliche Vernunft mit sich bringt. Wegen dieser Entfaltung des Geistes behauptet Hegel, dass alles vernünftig ist, was wirklich ist, wie auch ebenso alles Vernünftige wirklich ist!

2.5. Der humanistische Idealismus

Wilhelm von Humboldt (1767-1835) lehnte jeglichen Absolutismus ab und erklärte den Staat als verantwortlich für die Erziehung seiner Bürger. F. Schleiermacher (1768-1834), Prediger und Übersetzer der Werke Platons, lehrte, dass in jedem Menschen ein Persönlichkeitsbild liege, welches ausgelebt werden will und auch ausgelebt werden sollte. Denn Gott steckt in jedem von uns und ist ebenso sonst überall verortet (Pantheismus).

2.6. Der romantische Idealismus

Romantiker wie Novalis (1772-1801) und Carl Gustav Carus (1789-1869) werteten die Bilder der Fantasie höher als die Bilder der Wirklichkeit, setzten die Natur aber auch über die Vernunft des Menschen.

2.7. Der positivistische Idealismus

Anders als Kant glaubt Jakob Friedrich Fries (1773-1843), dass die Form "des Dinges an sich" nicht durch Deduktion, sondern nur durch gedankliche Reflexion zu erkennen ist. Im Gegensatz zur Aufklärung will der Positivismus sich die Wissenschaft nicht einverleiben, sondern sich ihr unterstellen. Der Positivismus verlangt die Beachtung psychologischer Tatbestände.

2.8. Der irrational-voluntaristische Idealismus nach Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer (1788-1860) griff Kants Phänomenologie auf, glaubte also, man könne nur den Schein der Dinge an sich erkennen. Daraus resultiert die Behauptung: "Die Welt ist meine Vorstellung." Die sichtbare Welt ist Objektivation des Willens. Dennoch ist der Mensch den Gesetzen der Natur, dem blinden Weltwillen, ausgeliefert; er ist determiniert, die Freiheit des Willens existiert nur als transzendentales Ding an sich. Die Motivation zum Beispiel betrachtete er als kausale Sonderform, die das menschliche Handeln bestimmt.

Da dieser blinde Weltwille (das eigentliche Ding an sich) überall nach Erkenntnis trachtet, diese aber selbst im lebendigen Menschen nur unzureichend erlangen kann, bedeutet Leben gleich Leiden. Nur durch Versinken des Geistes in die Welt der Ideen, sprich durch Askese, gelangt der Mensch ins Nirwana, bringt er den Willen zum Schweigen. Erwacht er jedoch aus der ästhetischen Hingabe, so wird sein Leiden umso grösser. Sogar Selbstmord befreit den Menschen nicht aus dieser Umklammerung, denn ein solcher erlöst nur den Leib, nicht aber die unsterbliche Seele.

3. Die Philosophie des 19. Jahrhunderts

Die - unübersehbaren- Erfolge der Wissenschaft brachten es mit sich, dass die Deduktion des Idealismus gegenüber der Induktion als Forschungsmethode an Bedeutung verlor. Die Vernunft-Philosophie des Idealismus vernachlässigt die Bedeutung der Ergebnisse der Einzelwissenschaften und wurde daher zunehmend von Positivismus und Realismus verdrängt.

3.1. Der Positivismus

Auguste Comte (1798-1857)), der Begründer des Positivismus als auch der Soziologie, sah nach der Zeit der Theologie und der Zeit der Philosophie die Zeit der Wissenschaft für gekommen. Was sich in Frankreich mit den Enzyklopädien bereits ankündigte, forderte der Positivismus nun explizit: Statt die Erfahrungswelt metaphysisch zu erschliessen, sollte sie vielmehr empirisch zu einem System zusammengeschlossen werden.

Durch John Stuart Mill (1806-1873) schliesslich wurde das Induktionsprinzip, die induktive Logik, als einzige gültige Forschungsmethode propagiert.

Herbert Spencer (1820-1903) trug den Entwicklungsgedanken bei, der besagte, dass der apriorische Erkenntnisapparat über Anpassung und Vererbung entstanden ist, ursprünglich als von unseren Vorfahren auf dem Weg der Erfahrung erworben wurde. Als Agnostiker glaubte er jedoch nicht daran, dass das Seiende, die materiellen wie geistigen Substanzen, irgendwann vollständig erkannt werden kann.

3.2. Der historisch-dialektische Materialismus

3.3. Die realistische Anthropologie nach Ludwig Feuerbach

Ludwig Feuerbach (1804-1872) hebt die Bedeutung des einzelnen Individuums hervor, und zwar nicht nur wegen dessen Bewusstsein, sondern auch wegen dessen physischer Präsenz, die unabdingbar gegeben ist. Eine Seele ohne Körper ist nur fantastische Spekulation, ebenso wie - oder eben drum - auch Gott nur eine solche darstellt. Der Körper ist ein Band der logischen Notwendigkeit!

Das Sein bedeutet nach Feuerbach sinnlich (gegeben) sein. Die Individualität des Einzelnen sollte nicht wie bei den Metaphysikern abstrahiert, sondern als konkret gegeben erkannt werden. Leib und Seele sind in gleicher Weise auszubilden.

3.4. Der historisch-dialektische Materialismus nach Karl Marx

Nach Karl Marx (1818-1883), der bezeichnenderweise über Epikur promovierte, ist alles Ideelle nur im Menschenkopf übersetztes Materielles. Statt in scholastischer Manier über das Denken nachzudenken, sollte der Realdialektiker besser das konkrete Handeln der Menschen erforschen. Der Realdialektiker (wie z.B. Marx) vermutet in der Materie den Ausgangspunkt der dialektischen Entwicklung, während der Idealdialektiker (wie z.B. Hegel) in den geistigen Ideen denselben vermutet.

Zwei widerstreitende Kräfte bestimmen die dialektisch fortschreitende, sprunghafte, bisweilen katastrophengesteuerte Entwicklung der Geschichte: die Produktivkräfte und der soziale Überbau. Das Proletariat als Träger des revolutionären Prinzips sorgt durch Klassenkämpfe dafür, dass diese beiden Kräfte letztlich zueinanderfinden (Zustand des Kommunismus). Interessant ist, dass nach Marx jede Änderung an der Materie durch den Menschen, zum Beispiel durch Arbeit, die Menschen selbst verändert, da diese gleichfalls von materieller Natur sind.

3.5. Die historisch-dialektische Kritik nach Friedrich Engels

Friedrich Engels (1820-1895) bezeichnet den Materialismus als wesentlich deutsches Produkt, daher würde er dort auch am ehesten seinen Anfang nehmen können. Er wendet sich gegen die Traditionen, die er als Trägheitskraft der Geschichte versteht. Und er wendet sich gegen den mechanistischen Fortschrittsglauben; stattdessen verficht er einen dialektischen, in sich selbst wandelbaren Fortschrittsgedanken.

3.6. Der mechanistische Materialismus

Wie Marx und Engels so glaubte auch Ludwig Büchner (1824-1899) an eine Entwicklung aller Materie. Dieser Fortschritt schreitet jedoch mechanistisch und nicht dialektisch voran.

Ernst Haekel (1834-1919) glaubte, alles Wirkliche - Materie, Kraft und Empfindung - sei aus einem Einzigen entstanden, dem Monon. Daher nannte er seine Philosophie auch Monismus. Alles gehorcht den Gesetzen der zweckfreien Kausalität. Selbst die Psychologie hängt nur von der materiellen Organisation des Menschen ab, wie auch die Sittlichkeit nur einen organistischen Instinkt darstellt, der an das Plasma (d.h. an die organische Substanz) gebunden ist..

Ernst Machs (1838-1916) Kritizismus der Empirie stellt einen radikalen Phänomenalismus dar. Es existiert keine Wirklichkeit, sondern nur subjektive Vorstellungen, die durch empirische Erkenntnisse hervorgerufen werden. Es gibt keine kausale, sondern nur funktionale Zusammenhänge. Die metaphysische Begriffsbildung ist dagegen denk-unökonomisch.

Nach Hermann Lotzes Philosophie des Mikrokosmos wirkt im Menschen ein Seelenmechanismus, d.h. die Seele existiert nur als ihr eigener Vollzug! Trotz dieser Mechanik ist das Tun der Menschen jedoch nicht sinnlos, denn Gott gibt ihm einen Sinn vor (mehr als dieser Sinn ist von Gott auch nicht erkennbar).

Der Neckarauer Philosoph Wilhelm Wundt lehrte die Heterogenität der Zwecke: Die Seele ist ein fliessender Prozess im Bewusstsein, wobei stets mehr entsteht und geschieht, als bewusst beabsichtigt wurde.

3.7. Die geisteswissenschaftliche Philosophie

Wilhelm Dilthey folgte Hegel und Schleiermacher nach, als er die Wichtigkeit der Erfahrung in der Geschichte hervorhob. Er propagiert das geschichtlich-kulturell objektive Verstehen der Hermeneutik gegenüber dem Erklären der Naturwissenschaften. Die Methode des Erklärens sucht ihm zu sehr nach den allgemeinen Grundlagen, und vernachlässigt dabei das konkrete, alleine in der Geschichte stehende Ereignis. Nur über die Betrachtung des Spiegels der Geschichte kann sich der Mensch aber in seiner Totalität begreifen. Die Geschichte lässt sich nicht vor den "Richterstuhl der Vernunft" bringen (weshalb auch eine "Kritik der historischen Vernunft" nicht möglich ist).

3.8. Die Lebensphilosophie

Das Leben als philosophisches Problem zu erachten, diese Haltung kennzeichnet die Gedankenwelt von Friedrich Nietzsche. Bei ihm vermengen sich die wissenschaftliche Biologie, die Ideen des antiken Griechenlands und die Metaphysik des Willens nach Schopenhauer. Das Leben selbst ist das mächtigste Wirklichkeitsprinzip. Jede leidenschaftslose, systematische Philosophie wirkt dem nur entgegen; Nietzsche systematisierte daher nicht, sondern aphorisierte. Das alte Griechenland bezeichnet er als den "leibhaftigen kategorischen Imperativ aller Kulturen", sofern nicht nur das gemässigte (apollonische), sondern auch das rauschhafte (dionysische) beachtet wird. Das sokratische Denken jedoch, welches die Rationalität über alles erhebt, lähmt jegliches Leben.

Nietzsche sieht den Menschen nicht als übermenschliches, vernunftbegabtes Wesen an, sondern vielmehr als triebregiertes Wesen (was aber sozial bedingt maskiert ist). Doch gerade dadurch, dass der Mensch erkennt, dass er über dem Abgrund zwischen Tier und Übermensch schwebt, gewinnt er seine schöpferische Kraft, die ihn stets weiter mach vorne drängt. Der Wille zur Macht ist es, der den Menschen nicht ruhen lässt. Verliert er ihn, so wird er dekadent, wird gar nihilistisch. Nur der dionysische Ja-Sager zum Leben kann zum Übermenschen werden, der konsequent eigene Werte vertreten kann.

Auch die Lebensphilosophie nach Henri Bergson widmet dem Intellekt nicht die gleiche Bedeutung zu wie z.B. der Neukantianismus. Der Intellekt vermag nämlich bestenfalls das (scheinbar) Starre im Leben zu erfassen, wie etwa die Gesetze der anorganischen Chemie - nur dieser starre Teil ist für ihn sinnvoll in Begriffe zu fassen. Den Grossteil des Lebens aber kann der Mensch nur mittels seiner Intuition begreifen. Und diese spricht in Bildern. Denn alles Leben ist indeterminiert, alles Starre letztlich nur Täuschung - also auch z.B. die anorganische Chemie.

Die Lebensphilosophie von Georg Simmel weist auf die Bedeutung der Kultur im menschlichen Leben hin, ist daher auch Kulturphilosophie. Seine Hauptthese ist der dynamisch-tragische Grundzug jeglicher Kultur: Die Errungenschaften von Mensch und Kultur wirken auf Mensch und Kultur wieder zurück. Als Beispiel hierfür führte er v.a. das Geld auf.

Spanien, das Land ohne Renaissance, brachte den Kulturphilosophen Ortega y Gasset hervor. Dieser erinnerte an die Individualität des Menschen. Errungenschaften wie Ethik, Kultur und Vernunft sollen den einzelnen Menschen nicht beherrschen, sondern dienlich sein. Es ist gerade die Vitalsphäre, die die Grundlage jeder Persönlichkeit garantiert. Sie kann jedoch nicht das Absolute erfassen, sondern es nur gemäss ihrer geistig-seelischen Einstellung begreifen. Im Gegensatz zur Seele, die rein subjektiv erkennt, ist der Geist, der die Seele enthält, immerhin in der Lage, "übersubjektive" Anschauungen zu erlernen.

3.9. Die philosophische Geschichtskritik

Max Weber betrachtete die Geschichte empirisch-kritisch. Auch wenn sich Verstehen und Erklären seiner Meinung nach ergänzen, propagierte er als Ideal den reinen Empirismus, der werturteilsfrei forscht. Nur so wird die Entzauberung der Welt weiter voranschreiten können.

Eine Geschichtsbetrachtung von stark pessimistischem Zug zeichnet Oswald Spenglers morphologische Kulturbetrachtung aus. So besitzt jede neue Kultur eine ursprüngliche Produktivität, die von der Kulturseele getragen wird, und die den Stil der Kultur prägt. Nach einiger Zeit - er unterscheidet die Epochen Frühzeit, Sommer, Herbst und Winter - ist diese Produktivität aber unweigerlich im Verschwinden begriffen. In ihrem Endstadium, im Winter, wird das Dasein bis zur Sinnlosigkeit problematisiert, was sich z.B. in übermässiger Bürokratie widerspiegelt.

4. Die Philosophie des 20.Jahrhunderts

4.1. Die Phänomenologie nach Edmund Husserl

Seit der Lebensphilosophie Nietzsches versuchte die Philosophie Betrachtungen auf Objekte vorzunehmen, die "überwissenschaftlich" sind. Dies ging allerdings mitunter auf Kosten der Exaktheit. Edmund Husserl nun versuchte durch seine philosophisch gestützte Wesensschau der Phänomene eben diese Exaktheit leisten zu können, um somit eine Art vorausschauende, systematische Wissenschaft an sich etablieren zu können.

Die (intentionalen) Gegenstände des Bewusstseins sind nach Husserl das Tatsächliche (welches immer auch auf ein Wesenhaftes verweist) und das Wesenhafte (welches auch reines Bewusstsein sein kann, dem nichts Tatsächliches entspricht und daher auch nicht metaphysisch verstanden werden darf). Im reinen Bewusstsein, das frei ist von sämtlichen alltäglichen Denkmustern, Gesetzen und mathematischen Wahrheiten, bilden die "Hyle" (die Stofflichkeiten) die nicht-intentionalen Bestände, während die "Noese" (das sinnerfüllte Bewusstsein) die "Noema" (de gegenständlichen Kerne) der intentionalen Bestände herausbildet.

4.2. Der kritische Realismus

Die Philosophie um 1850 war misstrauisch gegen jede Art der Spekulation; sie verlangte höchste Exaktheit. Die daran anschliessende Philosophie jedoch sah in dieser Exaktheit eine unnötige Einengung des philosophischen Denkens. Die Philosophie sollte zwar vorwissenschaftliche Absichten im Sinne Husserls vertreten, dabei aber stets das Maximum des Gegebenen beachten, sich also nicht auf eine Perspektive beschränken. So erkennt man z.B., dass dem Dasein der Objekte auch immer ein "Sosein" innewohnt, eine Qualität, die in Bezug zur Person und/oder dem Kosmos zu sehen ist.

4.3. Der ontologisch-kosmologische Realismus

Johannes Rehmke sieht alles Gegebene als different voneinander an. Die sogenannten Einzelwesen sind Einheiten aus veränderbaren Allgemeinheiten und eindeutigen Einzigkeiten. So ändert sich z.B. die Farbe Rot nicht als Ganzes, sondern nur bloss seine Allgemeinheit, die Nuance, die durch eine andere Nuance ersetzt wird. Jedes Ding ist ein Einzelwesen, welches die Allgemeinheiten Grösse, Ort und Gestalt besitzt, wodurch ein immerwährender Bezug zum Kosmos etabliert ist, der das Sosein und das Dasein des Objekts determiniert. Das Bewusstsein ist ebenso wie die Seele dagegen ohne Einzigkeiten. Beide sind somit keine Einzelwesen bzw. Dinge, und als solches auch ohne Bezug zum Kosmos.

Hans Driesch bezeichnet Materie als das Bewegliche im Raume. Er geht als kritischer Positivist von zwei verschiedenen Kausalitätsklassen aus:

  1. Mechanistische Einzelkausalität: Wirkt in Organismen (z.B. als Assoziation) und Dingen.
  2. Funktionsschöpferische Ganzheitskausalität: Wirkt nur in Organismen.

Nicolai Hartmanns ontologischer Realismus weist darauf hin, dass die Erkenntnistheorie einen Fehler begeht, da sie versucht, die natürliche Richtung der Erkenntnis vom Subjekt auf das Objekt umzukehren, und Erkenntnisse über die Erkenntnisse des Subjekts gewinnen will. Eine solche Umkehrung ist schon deswegen nicht möglich, weil die Subjekt-Objekt-Relation etwas anderes darstellt als die Objekt-Subjekt-Relation. Grund: Das erkannte Objekt bleibt durch eine Erkenntnis stets unverändert, während das erkennende Subjekt durch eine Erkenntnis verändert wird. Neben dem intelligiblen Bereich des grundsätzlich Erkennbaren (der wiederum unterteilt ist in den bereits objektivierten und den noch transobjektiven Bereich) gibt es hinter der Objektionsgrenze einen Bereich der "Transintelligitibilität". Die kosmologischen Gegebenheiten (die Objekte) sind also durch das Subjekt nicht vollständig erkennbar und auch unabhängig von demselben.

4.4. Personalistisch-anthropologischer Realismus

Philosophen wie Sigmund Freud und Max Scheler wenden sich stärker als Husserl der Sachphänomenologie zu, statt der Aktphänomenologie. Sie versuchen anhand empirisch untersuchbarer Gegebenheiten (die sie mittels Traumanalysen, Versprechern u.ä. erheben) festzustellen, wie das Subjekt sich zu den Objekten stellt. Freud zeigt die Triebnatur des Menschen auf, welche ihn die Dinge als wertvoll erkennen lässt, während Scheler an ein formales und materiales Apriori glaubt, d.h., dass jede Wesensaussage theoretischer und nicht-theoretischer Akte (wie z.B. Gefühle) eine bereits gegebene Wertqualität (Sosein) besitzt, die der Mensch erkennen kann.

4.5. Die Existenzphilosophie

Dominierendes methodisches Prinzip der Existenzphilosophie ist die Entobjektivierung des Subjekts (also das genaue Gegenteil von dem, was die Realisten versuchten). Die gegenständliche Welt ist bedeutungslos für das Subjekt, da ihr kaum Motivierungspotenzial innewohnt. Existenz ist daher, was nie Objekt wird!

Nach Søren Kierkegaard ist die Welt nicht rationalisierbar, sondern absurd. Die tieferen Wahrheiten des Seins ergeben sich erst aus den unversöhnlichen Spannungen der Gegensätze. Erst die Angst um das Sein des ewigen Lebens bringt den "existierenden Denker" hervor, der sich anders als der hegelianische abstrakte Denker in seinem eigenen Denksystem selbst hinein versetzen muss.

In Martin Heideggers Ontologie des Seins wird das Dasein vom Verständnis seiner selbst begleitet. In seinem Sein geht es also dem Dasein um sein Sein selbst, was sich in dem alltäglichen Drang nach Sichfühlen und Sichbestätigen offenbart. Höher als die Wirklichkeit steht hierbei die Möglichkeit: Aus der eigenen Existenz ist stets das Maximum herauszuholen!

In der Sorge, dem Sich-kümmern-um-etwas, vermutet Heidegger den Grund für das In-der-Welt-sein. Dieser Grundzug der Existenz zeigt sich als Fürsorge für anderes Dasein (den Mitmenschen) und in der Sorge um das Seinkönnen des anderen Daseins aus seiner Existenz heraus. Durch blosses Mitsein ("Man tue dies und das" satt: "Ich tue dies und das") und äussere wie innere Barrieren (wie z.B. Verfallensein in irgendetwas) wird die Existenz unnötig beschränkt. Der Tod ist das Maximum der Möglichkeit des Seinkönnens, daher ist alles Dasein ein Sein zum Tode hin. Das Gewissen ruft immer wieder zum maximalen Seinkönnen auf.

Karl Jaspers vertritt eine Ontologie der Transzendenz. Der Mensch kann sein Dasein potenziell transzendieren; er ist dann in einer "enthusiastischen Einstellung", in der er alles in Beziehung zueinander sehen kann, auch wenn ein eigentliches Ziel nicht mehr erkennbar ist (das eigentliche Sein ist als transzendentes Sein grundsätzlich nicht "wissbar"!). Nicht das blosse Dasein ist schon Existenz, sondern nur potenzielle Existenz, die in Grenzsituationen ausgelotet werden will.

Nach Ansicht Jean-Paul Sartres ist das Dasein radikal zufällig, weshalb der Drang nach Freiheit unweigerlich zu seiner Existenz gehört. Diese Freiheit verlangt aber nach Verlassenheit, um sich voll entfalten zu können, was wiederum aber die Angst im Menschen schürt, vor der er nicht entfliehen kann (da seine freiheitliche Natur ja selbst der Grund für diese seine Angst ist). Daher gilt, dass der Mensch zur Freiheit verurteilt ist!

Gabriel Marcel weist darauf hin, dass man sich, um zu existieren, an seinem eigenen Leben aktiv beteiligen muss. Wer sein Leben nur von aussen betrachtet, begreift sich als Schauspieler, der nur Existenz vortäuscht, ohne sie jedoch real zu besitzen.

4.6. Der Neupositivismus

Der logische Positivismus des "Wiener Kreises" grenzt sich vom älteren Immanenzpositivismus ab. Philosophen wie Moritz Schlick, Rudolf Carnap, Hans Reichenbach, Alfred Tarski und Karl Popper sehen die Philosophie als etwas an, das sich auf Wissenschaftskritik und Logik beschränken sollte, wobei vor allem die Logik der Sprache der Wissenschaft im Zentrum steht. Die Metaphysik wird abgelehnt, da ihre Probleme nur Scheinprobleme sind; alle logischen Antinomien rühren nur daher, dass die Sprache über sich selbst spricht. Da dies in logischer Weise nicht gelingen kann, ist eine Art Metasprache von Nöten, die mittels symbolischer Zeichen eine in sich schlüssige Basis für die Bearbeitung von Problemen sein will. Wichtig dabei ist, dass die Sätze dieser Metasprache nicht nur intersubjektiv verifiziert sind, sondern auch sinnlich erfahrbar sein müssen!

4.7. Die analytische Sprachphilosophie nach Ludwig Wittgenstein

Ähnlich wie die Neupositivisten widmet sich Ludwig Wittgenstein vor allem der Sprache, mittels der Menschen erst zur Erkenntnis gelangen können. Zunächst suchte er nach einem metaphysischen Wesen der Sprache. So behauptet er, jegliche Sprache bilde sich zuerst durch das geistige Malen von Bildern des sinnlich Erfahrbaren, wobei der logische Aufbau des Bildes und des Abgebildeten und damit auch des empirischen Satzes analog ist (Abbildtheorie). Daher gilt, dass Satzanalyse immer auch Seinsanalyse ist! Da dieser logische Bau a priori gegeben ist, kann er jedoch mittels der empirischen Sätze nicht wiedergegeben werden. Das bedeutet aber auch, dass die Frage nach dem Wesen der Sprache letztlich sinnlos ist, da nicht erkennbar. "Worüber nicht gesprochen werden kann, muss man schweigen" (antimetaphysische Haltung). "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Die Philosophie hat nicht zu erklären, sondern nur zu beschreiben.

4.8. Der Pragmatismus

Der Pragmatismus gilt als typisch amerikanische Philosophie. Nach Charles Sanders Peirce ist die Realität ob ihrer ständigen Veränderung nie fassbar, da der Verstand nur mit festen Begriffen arbeitet. Daher gibt es auch keine absolute Wahrheit. Man kann Wahrheit jedoch als ein biologisches Werkzeug begreifen: Wahr ist, was sich als lebensförderlich erweist!

Als Gegner der Assoziationspsychologie behauptet William James einen radikal freien Willen, der als wahr erkennt, was der Menschheit förderlich ist. Zwischen physischen und psychischen Phänomenen wird nicht scharf getrennt, denn: Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen.

Ebenfalls von der Metaphysik abgewendet lehrt John Dewey, dass Ideen Funktionen der Erfahrung sind, die nötig sind, um im praktischen Leben bestehen zu können. Selbst die Logik erhält erst einen Sinn durch ihren praktischen Nutzen. Das Denken ist letztlich nur ein Instrument des Handelns.

Nach Auffassung des Engländers F.C.S. Schiller hat der Mensch die Aufgabe, als Schöpfer der Wirklichkeit zu agieren, d.h. die vorhandene Materie zu formen. Was Wirklichkeit, was Wahrheit ist, bestimmt alleine der Mensch, wobei er als Entscheidungsgrundlage die Nützlichkeit wählt (reine Logik ohne den Aspekt der Nützlichkeit ist also an sich nicht schon wahr!). Die Wahrheit von heute kann somit auch immer der Irrtum von Morgen sein.

4.9. Der englische Neurealismus

Die Neurealisten verstehen sich als Gegner vom Hegelianismus, denn nach Ansicht George Edward Moores verwechselt der Idealismus das Vorgestellte mit der Vorstellung. Farbe z.B. kann nämlich durchaus eine objektive Wirklichkeit für sich beanspruchen. Was sich jeder Forscher über seinen Schreibtisch hängen sollte, ist: "Man darf nicht auf Kosten der Wahrheit nach einem System streben!"

Gegen Metaphysik richtete sich auch Bertrand Russels Philosophie, da diese wissenschaftlich sein sollte. Er versuchte der Mathematik ein logisch korrektes Fundament zu erschaffen, wobei er allerdings auf logische Probleme stiess, die er auf Unzulänglichkeiten in der Sprache zurückführte. Wie die Neupositivisten suchte Russel nach einer Logistik, die frei ist von Ambiguitäten, Synonymen sowie logikfremden Elementen aus Psychologie und Erkenntnistheorie. Das Kalkül, der sinnentleerte Formalismus, dem auch Gottlob Frege, David Hilbert, George Boole und Giuseppe Peano mit ihren axiomatischen Systemen Nahe stehen, versucht dadurch exakter als die aristotelische Logik zu sein.

Obwohl Alfred North Whitehead eng mit Russel zusammenarbeitete, lässt er Metaphysik in der Philosophie zu (er behauptet sogar, die abendländische Philosophie Bestände ohnehin nur aus Fussnoten zu Platon). Die Philosophie soll das Abstrakte prüfen, die Wissenschaft das Konkrete. Erst durch das Für-wahr-halten des Abstrakten (wie z.B. Atomen) gelangt der Mensch zu rationalen Ansichten über die Welt. Der Materialismus, der abstrakte Begriffe leugnet, übersieht, dass er ja selbst auf der Abstraktion des Materiebegriffs fusst.

Nach Samuel Alexander gibt es vier Seinsstufen: reine Bewegung, Materie, Leben und Bewusstsein. Die Vorgängerstufe erkennt die jeweilige Nachfolgerstufe als göttlich an, d.h., dass das, was wir als Gott begreifen, derjenige Seinszustand ist, zu dem das Universum evolutionär als Nächstes strebt.

4.10. Der Neomarxismus

Als bürgerkritisch versteht sich die Frankfurter Schule von Max Horkheimer, Theodor Adorno und Herbert Marcuse, die massgeblichen Einfluss auf die Studentenbewegung von 1965 nahm. Die Ausbeutung einer Klasse ist wider die Vernunft, doch auch die Verwirklichung des Marxismus muss immer wieder an den realen Umständen scheitern. Der Kapitalismus ist grundsätzlich egoistisch und autoritär, und der Faschismus somit seine innere Konsequenz. Der Kapitalismus muss also überwunden werden, zumal dort auch die Inhumanität gilt: "Der Animismus beseelte die Sachen, der Industrialismus versachlicht die Seelen!"