Philosophie der Neuzeit
Geschwurbel von Daniel Schwamm (27.11.1994 bis 05.12.1994)
Inhalt
Als Immanuel Kant (1724-1804) seine Philosophie entwickelte, befand er sich
positionell zwischen den Rationalisten und Empiristen. Am Rationalismus störte
ihn der dogmatische Charakter, am Empirismus störte ihn die Nicht-Objektivität.
Zu dieser Mittelposition fand Kant jedoch spät, eigentlich erst, nachdem er aus
seinem "dogmatischen Schlummer" erwacht war, in den er durch Gottfried Leibniz
verfallen war. Grund für dieses Erwachen war das Werk David Humes gewesen.
Kant behauptet nun, zur Erkenntnis seien Erfahrung und
apriorische Mechanismen gleichermassen notwendig. Das Ding an sich, das
wahre Sein, ist für den Menschen nicht direkt erkennbar, jedoch
stösst es Empfindungen im Menschen an, die zur Anschauung
führen, die den Stoff der Erkenntnis liefern. Diese Anschauungen alleine
sind noch keine Erkenntnis! Wird jedoch über die Anschauung, d.h.
über die Erscheinung des Dings an sich, aktiv nachgedacht, wobei die
apriorischen Anschauungen von Raum und Zeit sowie die Verstandeskategorien
eingesetzt werden, so gewinnen wir die Form des Objekts. Stoff und Form
zusammen liefern neue Erkenntnisse über ein Objekt. Es gilt,
dass die Form überindividuell einmalig ist, während der Stoff
von jedem Betrachter anders wahrgenommen wird; daher wird es nie eine
einheitliche Sicht der Dinge geben!
Ähnlich den Rationalisten glaubte Kant, dass dem
Menschen gewisse Fähigkeiten von Geburt an gegeben sind, mit deren Hilfe
er Erkenntnisse zu erlangen vermag. Dazu bedarf es jedoch in der Regel
empirischer Anschauungen, um den Erkenntnisapparat überhaupt erst
anzustossen. Zu den apriorisch gegebenen Fähigkeiten zählt Kant
die Anschauungen von Raum und Zeit sowie verschiedene Kategorien des
Verstandes. Zu diesen Kategorien zählt er beispielsweise die
Kausalität. Sie ist nicht (unbedingt) real gegeben, sondern vielmehr ein
Instrument des Verstandes, um empirische Transformationen einordnen und
Nachvollziehen zu können. Wenn also ein Ereignis auf ein anderes folgt, so
muss dahinter kein realer kausaler Naturmechanismus stecken, auch wenn es
uns so erscheint. Das Raum und Zeit nur Anschauungen unseres Erkenntnisapparats
sind, und nichts real Gegebenes, beweist er folgendermassen:
Raum und Zeit selbst sind keine Empfindungen, denn mittels ihnen
vermögen wir Empfindungen erst zu ordnen. Was aber der Ordnung von Empfindung
dient, kann selbst nicht Empfindung sein. Raum und Zeit sind auch keine
Vorstellung, die von aussen kommt, denn sie sind uns vor jeder
Erfahrung bereits bekannt - sie lassen sich nicht wegdenken. Die Geometrie ist
räumlich, die Analysis ist zeitlich, beide sind notwendig, und also ist
ebenso Raum und Zeit notwendig. Nach Kants Urteilsverständnis müssen
Raum und Zeit daher apriorische Kategorien sein.
Das die Welt in Wahrheit oft anders funktioniert, als uns
unsere Sinne glauben machen wollen, wusste man zur Zeit Kants bereits. Er
verglich sich zum Beispiel selbst mit Nikolaus Kopernikus (1473-1543), der den
äusseren Schein des ptolemäischen Weltbildes als unwahr entlarvte, indem er zeigte,
dass sich die Erde um die Sonne dreht - und nicht umgekehrt.
Ein interessantes Detail lässt sich aus Kants
Philosophie ableiten: Dadurch, dass alle Erkenntnisse einer empirischen
Grundlage bedürfen, die Anschauungen hervorrufen, ist damit gleichzeitig
auch eine Grenze unserer Erkenntnisfähigkeit aufgezeigt. Wir sind also
letztlich nicht fähig, eine absolute Erkenntnis zu erlangen (auch schon alleine
deswegen nicht, weil wir nur die Erscheinungen des Dings an sich wahrnehmen
können)!
Sah Kant den einzelnen Menschen bezüglich seiner
Erkenntnisfähigkeit als ziemlich begrenzt an, so gestand er ihm ansonsten eher
grosse Freiheiten zu, zum Beispiel bezüglich des Willens und der
Vernunft. Denn Raum und Zeit sind ja nach Kant nur Anschauung, nur Schein - von
Determinismus kann hier also keine Rede sein, obwohl Kant aus dem Gefühl heraus
insgesamt eine apriorische Richtung aller Erkenntnis vermutet. So bedeutet
seiner Meinung nach ein Verstoss am kategorischen Imperativ eine Leugnung
dieser Richtung. Er drückte dies in dem Satz "Du kannst - denn du sollst" aus.
Das Beispiel zeigt, dass prinzipiell eine Wahlfreiheit besteht, welche Richtung
man einschlagen möchte.
Kant sah drei Kräfte im Menschen walten, die ihm seine
Erkenntnisse lieferten. Die determinierte reine Vernunft, die freie praktische
Vernunft, und die vermittelnde Vernunft des Gefühls, die Urteilskraft, die
teleologisch ist, d.h., nach dem Zweck einer Erkenntnis fragt und sie danach
beurteilt. So lässt sich zwar z.B. die Idee von Gott nicht über
die reine Vernunft als notwendig beweisen, jedoch vom Gefühl her als
praktische Vernunft darstellen. Ebenso verhält es sich mit dem freien
Willen, der nicht notwendigerweise gegeben sein muss, aber als regulative
Idee sinnvoll (praktisch) erscheint.
Nach Kant erlangt der Mensch Erkenntnisse, indem er über Anschauungen in
Begriffen nachdenkt, d.h. sich Urteile bildet. Ein Urteil
besteht aus Begriffspaaren von Subjekten und Prädikaten. Er unterscheidet
analytische und synthetische Urteile. Ein analytisches Urteil wie z.B.
"Alle Körper sind ausgedehnt" erweitert unsere Erkenntnisse
nicht, da hier dem Subjekt nur ein Prädikat zugestanden wird, welches
diesem bereits innewohnt. Bei einem synthetischen Urteil wie z.B. "Alle
Körper sind schwer" wird dem Subjekt jedoch ein neues Prädikat
zugeordnet, was unsere Erkenntnis über das Subjekt erweitert. Zu
analytischen Urteilen sind wir a priori fähig, d.h. vor jeder Erfahrung,
während synthetische Urteile in der Regel zuvor Erfahrungen bedürfen.
Nach Kant gibt es aber auch den interessanten Fall der synthetischen Urteile
a priori; er nennt sie transzendentale Erkenntnisse, d.h. Erkenntnisse, die
über die Erfahrung hinausgehen (sie sind auch gleichzeitig die
höchsten anstrebbaren Erkenntnisse)!
Zu synthetischen Urteilen a priori, wie zum Beispiel
"Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Gerade",
ist der Mensch mittels der Verstandeskategorien befähigt, die u.a.
mathematische Sätze und die Logik umfassen. Im Unterschied zu
gewöhnlichen synthetischen Urteilen a posterori sind diese Urteile
allgemein und notwendig, gelten also immer. Nach Kant sind empirische
Erkenntnisse dagegen nicht beweisbar, sondern Ansichtssache! Empirisch
lässt sich nur ermitteln, dass etwas ist, nicht aber, dass es
notwendigerweise so ist!
Nach Kant ist nicht einmal die cartesische Erkenntnis
"Ich denke, also bin ich" ein Beweis für die eigene Existenz!
Grund: Das Ich ist an keine empirische Grundlage gebunden, besitzt demnach kein
Ding an sich in der Realität. "Ich" ist nur ein leerer Begriff,
über den es keine Erkenntnis geben kann. Es gilt: Begriffe ohne
Anschauungen sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Auch die
Metaphysik der Rationalisten ("Luftbaumeister") bezeichnet Kant als
leere Erkenntnis, da die Welt als Ganzes nicht Teil der Erfahrungswelt sein
kann. Den ontologischen Gottesbeweis lehnt Kant aus dem gleichen Grund ab,
und stellt ihm einen teleologischen Beweis entgegen: Es zeugt von praktischer
Vernunft, hinter der Welt eine steuernde Kraft, also Gott, zu vermuten.
Als geniale Künstler betrachtete Kant Menschen, die
gegen den Strom schwimmen und dadurch die Kunst um neue Elemente bereichern.
Der reine Nachahmungstrieb ist dagegen nicht-schöpferisch. "Genie ist das Talent,
welches der Kunst die Regel gibt".
Kant hatte, wie eben beschrieben, zwischen den Anschauungen der jenseitigen
Autoritäten (Spekulation) und der diesseitigen Autoritäten (Tatsächlichkeiten)
zu vermitteln versucht. Der Idealismus entfernte sich in der Folge hingegen
wieder von der Empirie (d.h., er wurde spekulativer), während die Romantik
sich mehr zum Realismus hin entwickelte.
Der spekulative Idealismus ignoriert die Erfahrung.
Laut Kant ist im Menschen die Form der Erscheinungswelt bereits a priori
gegeben, während der Stoff eher subjektiv-zufällig erkannt wird. J.G.
Fichte (1762-1814) behauptet nun, dass Stoff und Form aus demselben Grund
resultieren, d.h., sowie ich alles über das Subjekt weiss (und damit auch
über die Form), weiss ich auch alles über das Objekt (und damit auch über
den Stoff). Denn das Subjekt ist stets bestimmend für das Objekt (und
nicht etwa umgekehrt, wie der Misserfolg der Scholastik zeigte).
Nach Fichte ist der gesamte Inhalt der Erscheinungswelt
alleine aus dem Ich deduzierbar; Erfahrungen stören dabei eigentlich nur.
Empfindungen gehören zum Subjekt und werden von diesem gesteuert, also
nicht von der Aussenwelt, wie Kant lehrt. Mit anderen Worten: Das Ich
bedarf nicht der Aussenwelt zur Erkenntnis! Allerdings existieren im
Menschen Naturtriebe zur Aussenwelt hin, die man auch ausleben sollte,
obwohl sie dem Ideal vom reinen Ich zuwiderlaufen. Da das Ich tätig sein
will, benötigt der Mensch Freiheit und ein Arbeitsfeld, damit es sich voll
entfalten kann.
F.W.J Schelling (1775-1854) war in seinem
Denken sehr wandlungsfähig, weshalb man ihn auch den Prometheus der
Philosophie nannte. Sein wichtigster Beitrag zur Philosophie ist die
Identitätslehre: Ähnlich wie Fichte glaubt er, dass Stoff und
Materie aus einem identischen Weltgrund entstanden sind. Im Gegensatz zu
Fichte meint Schelling aber, dass nicht der subjektive Geist, sondern die
objektive Natur die Erscheinungen hervorbringt. Die Dinge besitzen also bereits
in der Natur neben ihrer materiellen Stofflichkeit auch eine ideelle Form. Der
Widerstreit dieser beiden Kräfte bringt den Fluss der Erscheinungen
hervor, der letztlich aber wieder den absoluten Identitätszustand
anstrebt. Es gilt: Es ist der Geist der Natur, der die Materie formt, wobei er
sich aber an bestimmte Einschränkungen halten muss, die der Materie
auferlegt sind.
G.W.F. Hegel (1770-1831) betrachtet die
Wirklichkeit als Selbstverwirklichung der metaphysischen Idee. Diese
Selbstverwirklichung geht dialektisch fortschreitend vor sich, die vom
Philosophen vollständig erkannt werden kann. Die Thesis stand am Anfang
des Universums, die Antithesis in der Mitte und die Synthesis (Hegels
Philosophie) an seinem Ende. Jeder dieser "Dialektik-Sprünge" besteht selbst
wiederum aus dialektischen Sprüngen, die Thesis am Anfang z.B. aus Sein,
Nichtsein und Werden.
Der Geist strebt im Menschen nach Entfaltung. Zunächst nur der subjektive Geist
im Einzelwesen, der individuelle Vernunft hervorbringt. Danach der objektive Geist
in der Menschheit, der soziale Vernunft hervorbringt. Und schliesslich der
absolute Geist als Synthese, der die ganzheitliche Vernunft mit sich bringt.
Wegen dieser Entfaltung des Geistes behauptet Hegel, dass alles vernünftig ist,
was wirklich ist, wie auch ebenso alles Vernünftige wirklich ist!
Wilhelm von Humboldt (1767-1835) lehnte jeglichen Absolutismus ab und erklärte
den Staat als verantwortlich für die Erziehung seiner Bürger. F. Schleiermacher
(1768-1834), Prediger und Übersetzer der Werke Platons, lehrte, dass in jedem
Menschen ein Persönlichkeitsbild liege, welches ausgelebt werden will und auch
ausgelebt werden sollte. Denn Gott steckt in jedem von uns und ist ebenso sonst
überall verortet (Pantheismus).
Romantiker wie Novalis (1772-1801) und Carl Gustav Carus (1789-1869) werteten die
Bilder der Fantasie höher als die Bilder der Wirklichkeit, setzten die Natur aber
auch über die Vernunft des Menschen.
Anders als Kant glaubt Jakob Friedrich Fries (1773-1843), dass die Form "des Dinges
an sich" nicht durch Deduktion, sondern nur durch gedankliche Reflexion zu erkennen
ist. Im Gegensatz zur Aufklärung will der Positivismus sich die Wissenschaft nicht
einverleiben, sondern sich ihr unterstellen. Der Positivismus verlangt die Beachtung
psychologischer Tatbestände.
Arthur Schopenhauer (1788-1860) griff Kants Phänomenologie auf, glaubte also, man
könne nur den Schein der Dinge an sich erkennen. Daraus resultiert die Behauptung:
"Die Welt ist meine Vorstellung." Die sichtbare Welt ist Objektivation des Willens.
Dennoch ist der Mensch den Gesetzen der Natur, dem blinden Weltwillen, ausgeliefert;
er ist determiniert, die Freiheit des Willens existiert nur als transzendentales
Ding an sich. Die Motivation zum Beispiel betrachtete er als kausale Sonderform,
die das menschliche Handeln bestimmt.
Da dieser blinde Weltwille (das eigentliche Ding an sich) überall nach Erkenntnis
trachtet, diese aber selbst im lebendigen Menschen nur unzureichend erlangen kann,
bedeutet Leben gleich Leiden. Nur durch Versinken des Geistes in die Welt der Ideen,
sprich durch Askese, gelangt der Mensch ins Nirwana, bringt er den Willen zum Schweigen.
Erwacht er jedoch aus der ästhetischen Hingabe, so wird sein Leiden umso grösser.
Sogar Selbstmord befreit den Menschen nicht aus dieser Umklammerung, denn ein
solcher erlöst nur den Leib, nicht aber die unsterbliche Seele.
Die - unübersehbaren- Erfolge der Wissenschaft brachten es mit sich, dass die
Deduktion des Idealismus gegenüber der Induktion als Forschungsmethode an Bedeutung
verlor. Die Vernunft-Philosophie des Idealismus vernachlässigt die Bedeutung der
Ergebnisse der Einzelwissenschaften und wurde daher zunehmend von Positivismus
und Realismus verdrängt.
Auguste Comte (1798-1857)), der Begründer des Positivismus als auch der Soziologie,
sah nach der Zeit der Theologie und der Zeit der Philosophie die Zeit der Wissenschaft
für gekommen. Was sich in Frankreich mit den Enzyklopädien bereits ankündigte, forderte
der Positivismus nun explizit: Statt die Erfahrungswelt metaphysisch zu erschliessen,
sollte sie vielmehr empirisch zu einem System zusammengeschlossen werden.
Durch John Stuart Mill (1806-1873) schliesslich wurde das Induktionsprinzip,
die induktive Logik, als einzige gültige Forschungsmethode propagiert.
Herbert Spencer (1820-1903) trug den Entwicklungsgedanken bei, der besagte,
dass der apriorische Erkenntnisapparat über Anpassung und Vererbung entstanden ist,
ursprünglich als von unseren Vorfahren auf dem Weg der Erfahrung erworben wurde.
Als Agnostiker glaubte er jedoch nicht daran, dass das Seiende, die materiellen
wie geistigen Substanzen, irgendwann vollständig erkannt werden kann.
Ludwig Feuerbach (1804-1872) hebt die Bedeutung des einzelnen Individuums hervor,
und zwar nicht nur wegen dessen Bewusstsein, sondern auch wegen dessen physischer
Präsenz, die unabdingbar gegeben ist. Eine Seele ohne Körper ist nur
fantastische Spekulation, ebenso wie - oder eben drum - auch Gott nur eine
solche darstellt. Der Körper ist ein Band der logischen Notwendigkeit!
Das Sein bedeutet nach Feuerbach sinnlich (gegeben) sein. Die Individualität des
Einzelnen sollte nicht wie bei den Metaphysikern abstrahiert, sondern als konkret
gegeben erkannt werden. Leib und Seele sind in gleicher Weise auszubilden.
Nach Karl Marx (1818-1883), der bezeichnenderweise über Epikur promovierte, ist
alles Ideelle nur im Menschenkopf übersetztes Materielles. Statt in scholastischer
Manier über das Denken nachzudenken, sollte der Realdialektiker besser das
konkrete Handeln der Menschen erforschen. Der Realdialektiker (wie z.B. Marx)
vermutet in der Materie den Ausgangspunkt der dialektischen Entwicklung, während
der Idealdialektiker (wie z.B. Hegel) in den geistigen Ideen denselben vermutet.
Zwei widerstreitende Kräfte bestimmen die dialektisch fortschreitende, sprunghafte,
bisweilen katastrophengesteuerte Entwicklung der Geschichte: die Produktivkräfte
und der soziale Überbau. Das Proletariat als Träger des revolutionären Prinzips
sorgt durch Klassenkämpfe dafür, dass diese beiden Kräfte letztlich zueinanderfinden
(Zustand des Kommunismus). Interessant ist, dass nach Marx jede Änderung an der
Materie durch den Menschen, zum Beispiel durch Arbeit, die Menschen selbst verändert,
da diese gleichfalls von materieller Natur sind.
Friedrich Engels (1820-1895) bezeichnet den Materialismus als wesentlich deutsches
Produkt, daher würde er dort auch am ehesten seinen Anfang nehmen können. Er wendet
sich gegen die Traditionen, die er als Trägheitskraft der Geschichte versteht. Und
er wendet sich gegen den mechanistischen Fortschrittsglauben; stattdessen verficht
er einen dialektischen, in sich selbst wandelbaren Fortschrittsgedanken.
Wie Marx und Engels so glaubte auch Ludwig Büchner (1824-1899) an eine Entwicklung
aller Materie. Dieser Fortschritt schreitet jedoch mechanistisch und nicht dialektisch
voran.
Ernst Haekel (1834-1919) glaubte, alles Wirkliche - Materie, Kraft und
Empfindung - sei aus einem Einzigen entstanden, dem Monon. Daher nannte er
seine Philosophie auch Monismus. Alles gehorcht den Gesetzen der zweckfreien
Kausalität. Selbst die Psychologie hängt nur von der materiellen Organisation
des Menschen ab, wie auch die Sittlichkeit nur einen organistischen Instinkt
darstellt, der an das Plasma (d.h. an die organische Substanz) gebunden ist..
Ernst Machs (1838-1916) Kritizismus der Empirie stellt einen radikalen
Phänomenalismus dar. Es existiert keine Wirklichkeit, sondern nur subjektive
Vorstellungen, die durch empirische Erkenntnisse hervorgerufen werden. Es gibt
keine kausale, sondern nur funktionale Zusammenhänge. Die metaphysische
Begriffsbildung ist dagegen denk-unökonomisch.
Nach Hermann Lotzes Philosophie des Mikrokosmos wirkt im Menschen
ein Seelenmechanismus, d.h. die Seele existiert nur als ihr eigener Vollzug!
Trotz dieser Mechanik ist das Tun der Menschen jedoch nicht sinnlos, denn Gott
gibt ihm einen Sinn vor (mehr als dieser Sinn ist von Gott auch nicht erkennbar).
Der Neckarauer Philosoph Wilhelm Wundt lehrte die Heterogenität der Zwecke:
Die Seele ist ein fliessender Prozess im Bewusstsein, wobei stets mehr entsteht
und geschieht, als bewusst beabsichtigt wurde.
Wilhelm Dilthey folgte Hegel und Schleiermacher nach, als er die Wichtigkeit der
Erfahrung in der Geschichte hervorhob. Er propagiert das geschichtlich-kulturell
objektive Verstehen der Hermeneutik gegenüber dem Erklären der Naturwissenschaften.
Die Methode des Erklärens sucht ihm zu sehr nach den allgemeinen Grundlagen, und
vernachlässigt dabei das konkrete, alleine in der Geschichte stehende Ereignis.
Nur über die Betrachtung des Spiegels der Geschichte kann sich der Mensch aber in
seiner Totalität begreifen. Die Geschichte lässt sich nicht vor den "Richterstuhl
der Vernunft" bringen (weshalb auch eine "Kritik der historischen Vernunft" nicht
möglich ist).
Das Leben als philosophisches Problem zu erachten, diese Haltung kennzeichnet die
Gedankenwelt von Friedrich Nietzsche. Bei ihm vermengen sich die wissenschaftliche
Biologie, die Ideen des antiken Griechenlands und die Metaphysik des Willens nach
Schopenhauer. Das Leben selbst ist das mächtigste Wirklichkeitsprinzip. Jede
leidenschaftslose, systematische Philosophie wirkt dem nur entgegen; Nietzsche
systematisierte daher nicht, sondern aphorisierte. Das alte Griechenland bezeichnet
er als den "leibhaftigen kategorischen Imperativ aller Kulturen", sofern nicht nur
das gemässigte (apollonische), sondern auch das rauschhafte (dionysische) beachtet
wird. Das sokratische Denken jedoch, welches die Rationalität über alles erhebt,
lähmt jegliches Leben.
Nietzsche sieht den Menschen nicht als übermenschliches,
vernunftbegabtes Wesen an, sondern vielmehr als triebregiertes Wesen (was aber sozial
bedingt maskiert ist). Doch gerade dadurch, dass der Mensch erkennt, dass er über
dem Abgrund zwischen Tier und Übermensch schwebt, gewinnt er seine schöpferische
Kraft, die ihn stets weiter mach vorne drängt. Der Wille zur Macht ist es, der den
Menschen nicht ruhen lässt. Verliert er ihn, so wird er dekadent, wird gar
nihilistisch. Nur der dionysische Ja-Sager zum Leben kann zum Übermenschen werden,
der konsequent eigene Werte vertreten kann.
Auch die Lebensphilosophie nach Henri Bergson widmet dem Intellekt
nicht die gleiche Bedeutung zu wie z.B. der Neukantianismus. Der Intellekt
vermag nämlich bestenfalls das (scheinbar) Starre im Leben zu erfassen, wie etwa
die Gesetze der anorganischen Chemie - nur dieser starre Teil ist für ihn sinnvoll
in Begriffe zu fassen. Den Grossteil des Lebens aber kann der Mensch nur mittels
seiner Intuition begreifen. Und diese spricht in Bildern. Denn alles Leben ist
indeterminiert, alles Starre letztlich nur Täuschung - also auch z.B. die
anorganische Chemie.
Die Lebensphilosophie von Georg Simmel weist auf die Bedeutung der
Kultur im menschlichen Leben hin, ist daher auch Kulturphilosophie. Seine
Hauptthese ist der dynamisch-tragische Grundzug jeglicher Kultur: Die
Errungenschaften von Mensch und Kultur wirken auf Mensch und Kultur wieder
zurück. Als Beispiel hierfür führte er v.a. das Geld auf.
Spanien, das Land ohne Renaissance, brachte den Kulturphilosophen Ortega y Gasset
hervor. Dieser erinnerte an die Individualität des Menschen. Errungenschaften
wie Ethik, Kultur und Vernunft sollen den einzelnen Menschen nicht beherrschen,
sondern dienlich sein. Es ist gerade die Vitalsphäre, die die Grundlage jeder
Persönlichkeit garantiert. Sie kann jedoch nicht das Absolute erfassen, sondern
es nur gemäss ihrer geistig-seelischen Einstellung begreifen. Im Gegensatz zur
Seele, die rein subjektiv erkennt, ist der Geist, der die Seele enthält, immerhin
in der Lage, "übersubjektive" Anschauungen zu erlernen.
Max Weber betrachtete die Geschichte empirisch-kritisch. Auch wenn sich Verstehen
und Erklären seiner Meinung nach ergänzen, propagierte er als Ideal den reinen
Empirismus, der werturteilsfrei forscht. Nur so wird die Entzauberung der Welt
weiter voranschreiten können.
Eine Geschichtsbetrachtung von stark pessimistischem Zug zeichnet Oswald
Spenglers morphologische Kulturbetrachtung aus. So besitzt jede neue
Kultur eine ursprüngliche Produktivität, die von der Kulturseele
getragen wird, und die den Stil der Kultur prägt. Nach einiger Zeit - er
unterscheidet die Epochen Frühzeit, Sommer, Herbst und Winter - ist diese
Produktivität aber unweigerlich im Verschwinden begriffen. In ihrem
Endstadium, im Winter, wird das Dasein bis zur Sinnlosigkeit problematisiert,
was sich z.B. in übermässiger Bürokratie widerspiegelt.
Seit der Lebensphilosophie Nietzsches versuchte die Philosophie Betrachtungen auf
Objekte vorzunehmen, die "überwissenschaftlich" sind. Dies ging allerdings mitunter
auf Kosten der Exaktheit. Edmund Husserl nun versuchte durch seine philosophisch
gestützte Wesensschau der Phänomene eben diese Exaktheit leisten zu können, um somit
eine Art vorausschauende, systematische Wissenschaft an sich etablieren zu können.
Die (intentionalen) Gegenstände des Bewusstseins sind nach Husserl das Tatsächliche
(welches immer auch auf ein Wesenhaftes verweist) und das Wesenhafte (welches auch
reines Bewusstsein sein kann, dem nichts Tatsächliches entspricht und daher auch
nicht metaphysisch verstanden werden darf). Im reinen Bewusstsein, das frei ist
von sämtlichen alltäglichen Denkmustern, Gesetzen und mathematischen Wahrheiten,
bilden die "Hyle" (die Stofflichkeiten) die nicht-intentionalen Bestände, während
die "Noese" (das sinnerfüllte Bewusstsein) die "Noema" (de gegenständlichen Kerne)
der intentionalen Bestände herausbildet.
Die Philosophie um 1850 war misstrauisch gegen jede Art der Spekulation;
sie verlangte höchste Exaktheit. Die daran anschliessende Philosophie jedoch
sah in dieser Exaktheit eine unnötige Einengung des philosophischen Denkens.
Die Philosophie sollte zwar vorwissenschaftliche Absichten im Sinne Husserls
vertreten, dabei aber stets das Maximum des Gegebenen beachten, sich also nicht
auf eine Perspektive beschränken. So erkennt man z.B., dass dem Dasein der
Objekte auch immer ein "Sosein" innewohnt, eine Qualität, die in Bezug zur
Person und/oder dem Kosmos zu sehen ist.
Johannes Rehmke sieht alles Gegebene als different voneinander an. Die
sogenannten Einzelwesen sind Einheiten aus veränderbaren Allgemeinheiten
und eindeutigen Einzigkeiten. So ändert sich z.B. die Farbe Rot nicht als Ganzes,
sondern nur bloss seine Allgemeinheit, die Nuance, die durch eine andere Nuance
ersetzt wird. Jedes Ding ist ein Einzelwesen, welches die Allgemeinheiten Grösse,
Ort und Gestalt besitzt, wodurch ein immerwährender Bezug zum Kosmos
etabliert ist, der das Sosein und das Dasein des Objekts determiniert. Das
Bewusstsein ist ebenso wie die Seele dagegen ohne Einzigkeiten. Beide sind
somit keine Einzelwesen bzw. Dinge, und als solches auch ohne Bezug zum Kosmos.
Hans Driesch bezeichnet Materie als das Bewegliche im Raume. Er geht als
kritischer Positivist von zwei verschiedenen Kausalitätsklassen aus:
-
Mechanistische Einzelkausalität: Wirkt in Organismen
(z.B. als Assoziation) und Dingen.
-
Funktionsschöpferische Ganzheitskausalität: Wirkt nur in Organismen.
Nicolai Hartmanns ontologischer Realismus weist darauf hin,
dass die Erkenntnistheorie einen Fehler begeht, da sie versucht, die
natürliche Richtung der Erkenntnis vom Subjekt auf das Objekt umzukehren,
und Erkenntnisse über die Erkenntnisse des Subjekts gewinnen will. Eine
solche Umkehrung ist schon deswegen nicht möglich, weil die
Subjekt-Objekt-Relation etwas anderes darstellt als die
Objekt-Subjekt-Relation. Grund: Das erkannte Objekt bleibt durch eine
Erkenntnis stets unverändert, während das erkennende Subjekt durch eine
Erkenntnis verändert wird. Neben dem intelligiblen Bereich des grundsätzlich
Erkennbaren (der wiederum unterteilt ist in den bereits objektivierten und den
noch transobjektiven Bereich) gibt es hinter der Objektionsgrenze einen Bereich
der "Transintelligitibilität". Die kosmologischen Gegebenheiten (die
Objekte) sind also durch das Subjekt nicht vollständig erkennbar und auch
unabhängig von demselben.
Philosophen wie Sigmund Freud und Max Scheler wenden sich stärker als Husserl
der Sachphänomenologie zu, statt der Aktphänomenologie. Sie versuchen anhand
empirisch untersuchbarer Gegebenheiten (die sie mittels Traumanalysen, Versprechern
u.ä. erheben) festzustellen, wie das Subjekt sich zu den Objekten stellt. Freud
zeigt die Triebnatur des Menschen auf, welche ihn die Dinge als wertvoll erkennen
lässt, während Scheler an ein formales und materiales Apriori glaubt, d.h., dass
jede Wesensaussage theoretischer und nicht-theoretischer Akte (wie z.B. Gefühle)
eine bereits gegebene Wertqualität (Sosein) besitzt, die der Mensch erkennen kann.
Dominierendes methodisches Prinzip der Existenzphilosophie ist die Entobjektivierung
des Subjekts (also das genaue Gegenteil von dem, was die Realisten versuchten). Die
gegenständliche Welt ist bedeutungslos für das Subjekt, da ihr kaum Motivierungspotenzial
innewohnt. Existenz ist daher, was nie Objekt wird!
Nach Søren Kierkegaard ist die Welt nicht rationalisierbar,
sondern absurd. Die tieferen Wahrheiten des Seins ergeben sich erst aus den
unversöhnlichen Spannungen der Gegensätze. Erst die Angst um das Sein
des ewigen Lebens bringt den "existierenden Denker" hervor, der sich
anders als der hegelianische abstrakte Denker in seinem eigenen Denksystem
selbst hinein versetzen muss.
In Martin Heideggers Ontologie des Seins wird das Dasein vom Verständnis seiner
selbst begleitet. In seinem Sein geht es also dem Dasein um sein Sein selbst,
was sich in dem alltäglichen Drang nach Sichfühlen und Sichbestätigen offenbart.
Höher als die Wirklichkeit steht hierbei die Möglichkeit: Aus der eigenen Existenz
ist stets das Maximum herauszuholen!
In der Sorge, dem Sich-kümmern-um-etwas, vermutet Heidegger den Grund für das
In-der-Welt-sein. Dieser Grundzug der Existenz zeigt sich als Fürsorge für anderes
Dasein (den Mitmenschen) und in der Sorge um das Seinkönnen des anderen Daseins
aus seiner Existenz heraus. Durch blosses Mitsein ("Man tue dies und das" satt:
"Ich tue dies und das") und äussere wie innere Barrieren (wie z.B. Verfallensein
in irgendetwas) wird die Existenz unnötig beschränkt. Der Tod ist das Maximum
der Möglichkeit des Seinkönnens, daher ist alles Dasein ein Sein zum Tode hin.
Das Gewissen ruft immer wieder zum maximalen Seinkönnen auf.
Karl Jaspers vertritt eine Ontologie der Transzendenz. Der Mensch kann sein Dasein
potenziell transzendieren; er ist dann in einer "enthusiastischen Einstellung",
in der er alles in Beziehung zueinander sehen kann, auch wenn ein eigentliches
Ziel nicht mehr erkennbar ist (das eigentliche Sein ist als transzendentes Sein
grundsätzlich nicht "wissbar"!). Nicht das blosse Dasein ist schon Existenz,
sondern nur potenzielle Existenz, die in Grenzsituationen ausgelotet werden will.
Nach Ansicht Jean-Paul Sartres ist das Dasein radikal zufällig,
weshalb der Drang nach Freiheit unweigerlich zu seiner Existenz gehört.
Diese Freiheit verlangt aber nach Verlassenheit, um sich voll entfalten zu
können, was wiederum aber die Angst im Menschen schürt, vor der er
nicht entfliehen kann (da seine freiheitliche Natur ja selbst der Grund
für diese seine Angst ist). Daher gilt, dass der Mensch zur Freiheit
verurteilt ist!
Gabriel Marcel weist darauf hin, dass man sich, um zu existieren, an seinem
eigenen Leben aktiv beteiligen muss. Wer sein Leben nur von aussen betrachtet,
begreift sich als Schauspieler, der nur Existenz vortäuscht, ohne sie jedoch
real zu besitzen.
Der logische Positivismus des "Wiener Kreises" grenzt sich vom älteren
Immanenzpositivismus ab. Philosophen wie Moritz Schlick, Rudolf Carnap,
Hans Reichenbach, Alfred Tarski und Karl Popper sehen die Philosophie als
etwas an, das sich auf Wissenschaftskritik und Logik beschränken sollte,
wobei vor allem die Logik der Sprache der Wissenschaft im Zentrum steht.
Die Metaphysik wird abgelehnt, da ihre Probleme nur Scheinprobleme sind;
alle logischen Antinomien rühren nur daher, dass die Sprache über sich
selbst spricht. Da dies in logischer Weise nicht gelingen kann, ist eine
Art Metasprache von Nöten, die mittels symbolischer Zeichen eine in sich
schlüssige Basis für die Bearbeitung von Problemen sein will. Wichtig dabei
ist, dass die Sätze dieser Metasprache nicht nur intersubjektiv verifiziert
sind, sondern auch sinnlich erfahrbar sein müssen!
Ähnlich wie die Neupositivisten widmet sich Ludwig Wittgenstein vor allem der
Sprache, mittels der Menschen erst zur Erkenntnis gelangen können. Zunächst
suchte er nach einem metaphysischen Wesen der Sprache. So behauptet er,
jegliche Sprache bilde sich zuerst durch das geistige Malen von Bildern des
sinnlich Erfahrbaren, wobei der logische Aufbau des Bildes und des Abgebildeten
und damit auch des empirischen Satzes analog ist (Abbildtheorie). Daher gilt,
dass Satzanalyse immer auch Seinsanalyse ist! Da dieser logische Bau a priori
gegeben ist, kann er jedoch mittels der empirischen Sätze nicht wiedergegeben
werden. Das bedeutet aber auch, dass die Frage nach dem Wesen der Sprache
letztlich sinnlos ist, da nicht erkennbar. "Worüber nicht gesprochen
werden kann, muss man schweigen" (antimetaphysische Haltung). "Die Grenzen
meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt." Die Philosophie hat nicht
zu erklären, sondern nur zu beschreiben.
Der Pragmatismus gilt als typisch amerikanische Philosophie. Nach Charles Sanders
Peirce ist die Realität ob ihrer ständigen Veränderung nie fassbar, da der Verstand
nur mit festen Begriffen arbeitet. Daher gibt es auch keine absolute Wahrheit. Man
kann Wahrheit jedoch als ein biologisches Werkzeug begreifen: Wahr ist, was sich als
lebensförderlich erweist!
Als Gegner der Assoziationspsychologie behauptet William James einen
radikal freien Willen, der als wahr erkennt, was der Menschheit förderlich
ist. Zwischen physischen und psychischen Phänomenen wird nicht scharf
getrennt, denn: Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind
traurig, weil wir weinen.
Ebenfalls von der Metaphysik abgewendet lehrt John Dewey, dass Ideen
Funktionen der Erfahrung sind, die nötig sind, um im praktischen Leben
bestehen zu können. Selbst die Logik erhält erst einen Sinn durch ihren
praktischen Nutzen. Das Denken ist letztlich nur ein Instrument des Handelns.
Nach Auffassung des Engländers F.C.S. Schiller hat der Mensch die Aufgabe,
als Schöpfer der Wirklichkeit zu agieren, d.h. die vorhandene Materie zu formen.
Was Wirklichkeit, was Wahrheit ist, bestimmt alleine der Mensch, wobei er als
Entscheidungsgrundlage die Nützlichkeit wählt (reine Logik ohne den Aspekt der
Nützlichkeit ist also an sich nicht schon wahr!). Die Wahrheit von heute kann
somit auch immer der Irrtum von Morgen sein.
Die Neurealisten verstehen sich als Gegner vom Hegelianismus, denn nach Ansicht
George Edward Moores verwechselt der Idealismus das Vorgestellte mit der Vorstellung.
Farbe z.B. kann nämlich durchaus eine objektive Wirklichkeit für sich beanspruchen.
Was sich jeder Forscher über seinen Schreibtisch hängen sollte, ist: "Man darf nicht
auf Kosten der Wahrheit nach einem System streben!"
Gegen Metaphysik richtete sich auch Bertrand Russels Philosophie, da diese
wissenschaftlich sein sollte. Er versuchte der Mathematik ein logisch korrektes
Fundament zu erschaffen, wobei er allerdings auf logische Probleme stiess,
die er auf Unzulänglichkeiten in der Sprache zurückführte. Wie die
Neupositivisten suchte Russel nach einer Logistik, die frei ist von Ambiguitäten,
Synonymen sowie logikfremden Elementen aus Psychologie und Erkenntnistheorie.
Das Kalkül, der sinnentleerte Formalismus, dem auch Gottlob Frege, David Hilbert,
George Boole und Giuseppe Peano mit ihren axiomatischen Systemen Nahe stehen,
versucht dadurch exakter als die aristotelische Logik zu sein.
Obwohl Alfred North Whitehead eng mit Russel zusammenarbeitete,
lässt er Metaphysik in der Philosophie zu (er behauptet sogar, die
abendländische Philosophie Bestände ohnehin nur aus Fussnoten zu
Platon). Die Philosophie soll das Abstrakte prüfen, die Wissenschaft das
Konkrete. Erst durch das Für-wahr-halten des Abstrakten (wie z.B. Atomen)
gelangt der Mensch zu rationalen Ansichten über die Welt. Der Materialismus,
der abstrakte Begriffe leugnet, übersieht, dass er ja selbst auf der
Abstraktion des Materiebegriffs fusst.
Nach Samuel Alexander gibt es vier Seinsstufen: reine Bewegung, Materie,
Leben und Bewusstsein. Die Vorgängerstufe erkennt die jeweilige Nachfolgerstufe
als göttlich an, d.h., dass das, was wir als Gott begreifen, derjenige
Seinszustand ist, zu dem das Universum evolutionär als Nächstes strebt.
Als bürgerkritisch versteht sich die Frankfurter Schule von Max Horkheimer,
Theodor Adorno und Herbert Marcuse, die massgeblichen Einfluss auf die
Studentenbewegung von 1965 nahm. Die Ausbeutung einer Klasse ist wider
die Vernunft, doch auch die Verwirklichung des Marxismus muss immer wieder
an den realen Umständen scheitern. Der Kapitalismus ist grundsätzlich
egoistisch und autoritär, und der Faschismus somit seine innere Konsequenz.
Der Kapitalismus muss also überwunden werden, zumal dort auch die Inhumanität
gilt: "Der Animismus beseelte die Sachen, der Industrialismus versachlicht
die Seelen!"