Organisatorische Restrukturierung
Geschwurbel von Daniel Schwamm (19.07.1994)
Inhalt
Unter Restrukturierung verstehen wir:
- Umrüstung funktionaler Strukturen in divisionale Strukturen (im Sinne von Alfred Chandler).
- Dezentralisierung, Abbau von Stäben und Einrichtung von Profitcenter.
- Lean Management und Lean Production.
- Business Process Reengineering.
- Umstellung von Massenproduktion auf Gruppenfertigung (im Sinne von Ulich, 1994).
Der Restrukturierungsprozess ist:
- innovativ für jedes Unternehmen, d.h., Visionen sind frühzeitig zu verankern.
- hochkomplex und sehr schwer beherrschbar; nur Rahmenprojekte sind planbar.
- hochgradig politikbehaftet, d.h. organisatorische Trägheit bzw. Konservatismus ist zu beachten.
Unter Erfolg von Restrukturierungsmassnahmen verstehen wir:
- die tatsächliche Umsetzung der Restrukturierung.
- die sich ergebende Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter.
- die neue Effizienz (nur eingeschränkt, weil direkte Vergleiche meist nicht möglich sind).
Anhand des Partizipationsgrades lassen sich drei Strategien formulieren,
die wir uns im Folgenden näher ansehen wollen.
Die Annahmen der synoptisch-rationalen Restrukturierungsstrategie sind:
- Annahme "situativ optimaler Lösungen"
- Annahme der Komplexitätsbeherrschbarkeit
- Annahme der "allgemeinen Einsicht in Rationalität"
- Annahme, dass formale Macht die Durchsetzung erzwingen kann.
Bombenwurfstrategie der Implementierung.
Abschwächung möglich durch Workshops, die bei der Detaillierung der
Lösung helfen dürfen. Basis sind aber utopische Annahmen, die zudem
nicht zwingend eine Restrukturierung fördern: Rationalität kann
schliesslich auch Gegenkoalitionen begründen!
Die Forderungen der strukturellen Organisationsentwicklung sind:
- Forderung nach Betroffenenbeteiligung durch Repräsentanten in allen Phasen.
- Forderung nach Unterstützung der Betroffene durch geeignete Hilfsmittel.
- Forderung nach Projekt-Gestaltung zur Durchsetzung.
- Forderung eines Team-Gedanke aller Beteiligten.
Hilfe zur Selbsthilfe-Strategie. Geändert wird nicht nur das Verhalten,
sondern auch die Struktur, damit das Carry-over-Problem nicht greifen kann.
Mikropolitik kann jedoch nicht verhindert werden, d.h., es besteht die
Gefahr des Manipulationsmissbrauchs, insbesondere wenn die externen
"Change Agents" als neutrale Facilitatoren verkauft werden. Das
Know-how-Gefälle fördert ebenfalls Manipulationsversuche.
Herbert Kubicek fordert daher, dass die Betroffene im Rahmen der
Mitbestimmung (oder darüber hinaus!) eigenständig Experten
auswählen dürfen. Doch selbst wenn sie dieses Recht nicht bekommen,
ist Partizipation mit Manipulation immer noch besser als ein reines
Top-down-Aufzwingen von Restrukturierungsmassnahmen.
Die Strategie der evolutionären Organisationsentwicklung setzt auf
Konsens aller Beteiligten. Das kommunikative Handeln nach Jürgen Habermas
ist ein unerreichbares Ideal wegen der Forderung nach dem
diskursfreien Raum. Die alleinige Selbstorganisation nach Werner Kirch und
dem St. Galler Ansatz ist ohne Fremdorganisation nicht möglich. Und das
verständigungsorientierte Vorgehen ist wegen seiner Zeitintensität dysfunktional.
Restrukturierungen verlangen Visionen, damit sie zunächst einen Wandel in den
Köpfen der Akteure bewirken können.
Visionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie:
- in Schlagworten den Soll-Endzustand der Restrukturierung aufzeigen.
- die Restrukturierung verträglich bzw. akzeptable oder gar erwünscht formuliert.
- den Ist-Zustand beklagen.
-
demonstrieren, dass der Soll-Zustand der Restrukturierung zwar Opfer verlangt,
aber auch der der Mühe lohnt (Identifikation der Betroffenen mit den Zielen).
-
auf einen charismatischen Führer setzten, der auf die Mitarbeit seiner
Geführten vertrauen kann (Loyalität und Commitment).
- rhetorische Fähigkeiten vom Führer erwarten.
- Konflikte vergessen lassen.
- die Motivation steigern (bis hin zur Begeisterung).
- Rückschläge durch noch mehr Vision dämpfen.
- bei Krisen am effektivsten greifen.
Die Umsetzung von Visionen ist mit einigen Gefahren verbunden:
- Sie erschweren eine Umkehr der Restrukturierung trotz absehbarem Misserfolg.
- Berechtigte kritische Stimmen werden als Häresie verschrien.
- Zu hohe Erwartungen können leicht enttäuscht werden, was zur Demotivation führt.
- Die Leitung verliert (vor lauter Begeisterung) den Kontakt zur Realität.
- Unflexibilität/Anpassungsprobleme bei neuer Situation.
- Sunk Costs, d.h. unbeeinflussbare "versunkene" Kosten.
- Reaktive Traumtänzerei.
- Manipulationsgefahr
- Der Führer wird überbewertet, die Vorstrukturierung bzw. Vornormierung ist aber wichtiger,
- Zu vage Formulierungen, damit Konflikte überdeckt werden können.
Die Wahl der Projektorganisation ist eine wichtige Aktivität der Führung
zur Durchsetzung einer Restrukturierung. Mit dem Ansatz der strukturellen
Organisationsentwicklung kompatibel ist folgende Projektorganisation:
-
Planungsteam: Das sind die Repräsentanten, die die Grobentwürfe
generieren und auswählen.
-
Entscheidungsteam: Das ist die Führung, die das gewählte
Grobkonzept in der Organisation durchsetzt.
-
Informationsgruppen: Diese Gruppe dient zur Involvierung weiter
Kreise von Betroffenen in den Restrukturierungsprozess.
-
Beratungsauschüsse: Hierbei handelt es sich um mittlere Manager,
die durch Einbindung in den Restrukturierungsprozess an Ausübung
dysfunktionaler Mikropolitik behindert werden.
-
Lenkungsauschuss: Die Gruppe koordiniert die verschiedenen
Planungsteams. Sie sind die sogenannte "Clearing"-Stelle. Zum Teil können
die Mitglieder des Lenkungsauschusses aus den Leitern der Planungsgruppe
bestehen. Fachliche Heterogenität, die auf Konsens setzt, ist anzuraten.
Im Kontext der Restrukturierung fordert Herbert Kubicek gemischte
Planungsteams. Die Betroffenen können hier Experten ihrer Wahl heranziehen,
die ihnen beim Entwurf und Vorstellung von alternativen Grobkonzepten helfen.
Dadurch werden die Machtasymmetrien zwischen Führung, Stäben und Betroffenen
reduziert (und damit auch die Möglichkeiten von Manipulationen der Form,
dass man die Betroffenen durch geballtes Experten-Know-how einfach
überfahren kann).
Durch sogenannte symbolische Führung kann die
Unternehmensleitung den Restrukturierungsprozess besonders effektiv
beeinflussen: Das (alte) Geschehen im Unternehmen wird dabei mit neuem Sinn
belegt. Dies kann folgendermassen geschehen:
-
Die Leitung nutzt jede Chance, um gegebene Fakten in Bezug zur Vision der
Restrukturierung zu setzen, organisationsintern genauso wie organisationsextern.
-
An Schlüsselpositionen werden Personen gesetzt, die die "neue Linie" glaubwürdig
vertreten (z.B. weil sie so etwas schon einmal gemacht haben).
-
Die Führung besucht die Planungsgruppen und zelebriert jeden Zwischenerfolg.
-
Die Projekte werden unter die Schirmherrschaft wichtiger Personen gestellt.
-
Es werden Symbole herausgestellt, die nach aussen dokumentieren: "Ich bin
für die Restrukturierung!" (z.B. Uhr am rechten Arm).
Bei der Restrukturierung gibt es Gewinner und Verlierer. Die
Verlierer, die sich auch aus dem mittleren Management rekrutieren und also
über Macht verfügen, sind mikropolitische Aktivitäten gegen die
Restrukturierung zu erwarten. Auch Nicht-Verlierer sind häufig gegen eine
Änderung des Status quo, weil sie mit diesem vertraut sind. Eine kreative
Beteiligung dieser Akteure ist kaum zu erwarten.
Gegenkoalitionen können entgegengewirkt werden, z.B. durch Gewinner-Entschädigter-Spiele
statt Gewinner-Verlierer-Spiele; es werden individuelle Ausgleichsangebote gemacht,
wie Abfindungen, das Versprechen der Beibehaltung aller Privilegien,
Projektleiter-Posten usw. Schwieriger ist es, rein informalen Blockaden
bereits im Vorfeld beizukommen; prominente Saboteure können z.B. durch
linientreue Personen ersetzt werden. Aber Achtung! Personalen
Vorstrukturierungen gehen leicht mit dysfunktionaler Wirkung einher, denn
profilierungsneurotische "Eisenfresser" bekommt niemand sonderlich gerne als
Vorgesetzte vorgesetzt.